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Türkei: Ringen um neue Verfassung

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Regierung will mit Zugeständnissen Opposition für Neuregelung gewinnen. | Erdogan wegen Armenier-Aussagen unter Druck. | Ankara. Das könne doch nur ein Trick sein. So kommentierte die türkische Opposition Versuche der Regierung, mit Zugeständnissen an andere Parteien eine Änderung der Verfassung voranzutreiben. Dabei wäre die AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bereit, das zu tun, was die rechtskonservative CHP seit langem verlangt: eine gesetzliche Möglichkeit zu schaffen, die Anführer des Militärcoups von 1980 anzuklagen. Dies hat bis jetzt ein Artikel der Verfassung verboten - eines Gesetzes, das kurz nach dem Umsturz festgeschrieben worden war.


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Dennoch sagte die Opposition nein. Sie werde nicht für eine Änderung der Verfassung stimmen. Und die Regierung will trotzdem in der kommenden Woche eine nächste Gesprächsrunde starten, um doch noch eine Neuregelung im Parlament zustande zu bringen. Sollte sie die nötige Unterstützung nicht bekommen, will sie das Volk befragen und eine Änderung per Referendum durchsetzen.

Denn ein neues Gesetz ist nötig. Das betonen Menschenrechtsorganisationen, Politik- und Rechtswissenschafter und nicht zuletzt die Europäische Union. Die Türkei brauche eine zivile Verfassung. Eine Verfassung, die größeren Wert auf Frauen-, Minderheiten- und Persönlichkeitsrechte oder die Hoheit des Staates über das Militär legt. Eine Verfassung, die die Demokratie stärkt.

Ein Entwurf dafür verstaubt seit fast zwei Jahren in der Schublade. Die Opposition, die der AKP ihre islamischen Wurzeln vorhält und den Laizismus in Gefahr sieht, blockierte bisher jede Änderung.

Doch auch die Justiz könnte der Regierungspartei wegen der Pläne zu Gerichtsreformen Probleme bereiten. Schon gibt es Spekulationen über ein neues Parteiverbotsverfahren gegen die AKP. Ein derartiges Verfahren hat der Türkei vor knapp zwei Jahren eine monatelange politische Lähmung beschert und das Land Milliarden US-Dollar an abgezogenen Auslandsinvestitionen gekostet.

Premier beschuldigt die Medien

Unter Druck ist Ministerpräsident Erdogan nun auch wegen seiner Aussagen zu Armeniern. Diese könnte er zu zigtausenden aus seinem Land ausweisen, weil sie nicht seine Staatsbürger wären, sagte er vor wenigen Tagen in einem BBC-Interview.

Nach empörten Reaktionen aus Armenien, aber auch der Türkei ging Erdogan am Freitag in die Defensive - und beschuldigte gleichzeitig die Medien. Er hätte von jenen Armeniern gesprochen, die sich illegal in der Türkei aufhielten. Diese Präzisierung aber hätten die Medien einfach ignoriert.