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Türkei steht unter Beobachtung

Von Thomas Seifert

Politik
Lamberto Zannier , italienischer Spitzendiplomat und Generalsekretär der OSZE mit Sitz in Wien.
© L. Puiu

OSZE-Generalsekretär Zannier warnt davor, die EU-Beitrittsgespräche mit Ankara überhastet zu beenden.


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"Wiener Zeitung": Ukraine-Konflikt, Putschversuch in der Türkei, Zusammenstöße zwischen Kosovaren und Serben. Was steht ganz oben auf der Liste jener Entwicklungen, die Ihnen derzeit schlaflose Nächte bereiten?

Lamberto Zannier: All das eben Genannte und das, was ich den Überbau zu dieser Entwicklungen nennen möchte. Nämlich: ein Comeback der Geopolitik, der Blöcke-Konkurrenz. Die Welt ist wieder einigermaßen kompliziert geworden, vor allem östlich von Wien im post-sowjetischen Raum. Die Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union und den USA sind heute wieder viel antagonistischer, als sie das schon einmal waren. Das erinnert an die Zeit des Kalten Krieges, auch wenn die Entwicklungen heute in einem völlig anderen Kontext stehen. Die Konfliktregionen der ehemaligen Sowjetunion weisen Ähnlichkeiten auf: Krim und Donbass beim Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, Transnistrien im Konflikt zwischen Russland und Moldawien, Südossetien und Abchasien im Konflikt zwischen Russland und Georgien. Gleichzeitig arbeitet Russland daran, einen Raum für Kooperation und vielleicht später sogar Integration für ehemaligen Länder der Sowjetunion aufzubauen, der in Konkurrenz zur EU und in manchen Aspekten auch zur Nato treten soll.

Die Beziehungen zwischen Russland einerseits sowie USA und EU andererseits sind ein Schlüssel zur Lösung der Probleme in Syrien, aber auch der Ukraine.

Natürlich. Lassen Sie mich ausholen: Russland ist wirtschaftlich keine Supermacht mehr. Aber politisch und vor allem auch militärisch ist Russland sehr wohl eine Supermacht - nicht nur aufgrund des nuklearen Arsenals. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatten wir eine Expansion euro-atlantischer Institutionen, ohne dass Russland konsultiert wurde. Das war meiner Meinung nach ein Fehler. Der Westen hat Russland als Regionalmacht bezeichnet, während Russland sich nach dem eigenen Selbstverständnis als Supermacht sieht. Russland möchte einen freundlichen Gürtel entlang seiner Grenzen haben - zumindest bis zu dem Zeitpunkt, zu dem es ein Arrangement mit der EU gibt. Aber dieses Arrangement fehlt. Und weil man genau das nach dem Ende des Kalten Kriegs verabsäumt hat, holen uns die Probleme nun ein. Also muss Europa versuchen, neue Beziehungen zu Russland aufzubauen. Beziehungen, die auf gegenseitigem Respekt und einer Achtung der Regeln basieren. Leider stehen wir derzeit vor der Situation, wo Regeln gebrochen werden.

Zur Türkei: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisiert die Europäische Union und die USA für die seiner Meinung nach zu wenig deutlich vorgetragene Kritik am Putschversuch. Ist das nachvollziehbar? Waren die Europäer und Amerikaner nicht laut genug in ihrer Kritik an den Putschisten?

Wenn das der Eindruck ist, dann ist das meiner Meinung nach ein falscher. Ich glaube, dass man im Westen wirklich besorgt über den Putschversuch war. Man stelle sich vor, was passieren hätte können, wenn der Putschversuch erfolgreich gewesen wäre! Gleichzeitig gibt es aber auch eine gewisse berechtigte Besorgnis über die Reaktionen der türkischen Regierung auf den Putsch: Die Absetzung von Richtern oder Universitätsrektoren scheint sehr hastig und schnell vonstattengegangen zu sein. Dazu kamen Pro-Erdogan-Demonstrationen in europäischen Hauptstädten, wo einige europäische Regierungen alles andere als glücklich darüber waren, dass ein innertürkischer politischer Konflikt im Ausland ausgetragen wird. Aber ich möchte es wirklich betonen: Die internationale Staatengemeinschaft steht hinter der türkischen Regierung. Die nächsten Schritte werden aber genau beobachtet. Es sieht auch so aus, als würde der Europarat die Prozesse gegen jene, die einer Verwicklung in den Putsch verdächtigt werden, beobachten. Das ist ein guter Schritt.

Wie denken Sie über den Vorschlag von Kanzler Christian Kern, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auf Eis zu legen?

Das müssen Regierungen der anderen EU-Staaten und die EU-Institutionen beantworten. Eines lässt sich dennoch sagen: In solchen Situationen scheint es nie klug, überhastete Entscheidungen zu fällen. Man muss sich Zeit nehmen, zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Die Türkei ist ein zu wichtiger Partner, als dass man überhastete Entscheidungen treffen könnte. Bevor man also die Türe schließt und das Licht ausmacht, sollte man das wirklich gründlich durchdacht haben.

Sie haben zuerst über den post-sowjetischen Raum gesprochen. Im Moment erleben wir, dass im Raum des Post-Osmanisches-Reichs unverdaute Geschichte Probleme bereitet. Zuerst die Balkan-Kriege, jetzt werden die Grenzen des Sykes-Picot-Abkommens zwischen Syrien und dem Irak mit Blut neu gezeichnet.

Das ist das Wesen der Geschichte. Da muss man immer mit irgendeinem Post-irgendwas fertig werden. Und weil sie eben den Westbalkan erwähnt haben: Dort hatten wir seit Jahrhunderten starke, sehr moderate islamische Gesellschaften. Zuletzt haben wir dort in manchen Regionen - als Folge von externen Einflüssen -eine besorgniserregende Radikalisierung erlebt. Das muss gestoppt werden. Ein Wort an dieser Stelle zur Rolle Russlands am Westbalkan: Serbien versucht eine Balance zwischen guten Beziehungen zu Moskau - Belgrad hat sogar Truppen zu einer Militärparade in Moskau geschickt - und der Europäischen Union. Gleichzeitig werden EU-Beitrittsverhandlungen von Belgrad mit Engagement verfolgt.