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Türkei tritt bei EU-Annäherung auf der Stelle

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Interner Kommissonsbericht zeichnet düsteres Bild. | Zypern-Frage gewinnt erneut an Gewicht. | Brüssel. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei kommen nicht vom Fleck. Der tschechische Außenminister und amtierende EU-Ministerratsvorsitzende Jan Kohout musste erst diese Woche einräumen, dass wohl nur mehr die formelle Öffnung eines weiteren der 35 Verhandlungskapitel erreicht werden könne. "Ich glaube, das ist im Rahmen unserer Möglichkeiten", sagte er.


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Denn einerseits zeichnet ein der "Wiener Zeitung" vorliegender interner EU-Bericht über die Fortschritte in Richtung EU-Standards ein düsteres Bild und die Zypern-Frage gewinnt erneut an Gewicht.

Andererseits werden der französische Präsident Nicolas Sarkozy und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht müde, sich gegen eine Mitgliedschaft der Türkei auszusprechen. Wie den Österreichern schwebt den Deutschen eine "privilegierte Partnerschaft" vor.

"Alles oder nichts"

Bei seinem ersten hochrangigen Treffen mit den EU-Spitzenpolitikern Kohout und Erweiterungskommissar Olli Rehn trat der neue türkische Außenminister Ahmet Davutoglu entschieden gegen diese Relativierungen auf: Seit 1957 arbeite die Türkei auf die volle Mitgliedschaft bei der EU hin, "wir akzeptieren kein anderes Ziel", sagte er.

Rehn erklärte zwar, dass sich die EU "dem Beitrittsprozess verpflichtet" fühle, der von "elementarem Interesse" für die Union sei. Doch forderte der Finne auch ausdrücklich Fortschritte bei der Sicherstellung der Grundrechte für die türkischen Bürger inklusive Medien- und Pressefreiheit. So wird etwa ein politischer Hintergrund für ein Steuerhinterziehungsverfahren gegen die Mediengruppe von Aydin Dogan vermutet, der immerhin die auflagenstärkste türkische Zeitung "Hürriyet" herausgibt und den mit Premier Recep Tayyip Erdogan scheinbar persönliche Animositäten verbinden.

Streit um Importverbote

Ganz praktische Dinge erregen die Union aber offenbar besonders. Denn fast am schärfsten wird in dem Bericht das Importverbot für EU-Rindfleisch und einige andere landwirtschaftlichen Produkte gerügt. Der Bann sei "vollkommen inakzeptabel", heißt es in dem Papier.

Neben den bekannten Forderungen nach ziviler Kontrolle über die Armee, Bekämpfung der "weit verbreiteten Korruption" und Reformen von Justiz und Verwaltung wird vor allem die strategische Wichtigkeit der Türkei als Energie-Transitland gewürdigt und die immer noch ausständige Anerkennung des EU-Landes Zypern heftig kritisiert: "Dringende Fortschritte" erwarte die EU bei der Umsetzung der Zollunion mit allen EU-Ländern, wie es die Türkei vor Beginn der Beitrittsgespräche im Oktober 2005 zugesagt hatte. Denn nach wie vor dürfen zypriotische Schiffe und Jets keine türkischen Häfen und Flughäfen ansteuern, weil Ankara das EU-Land Zypern nicht anerkennt.

Eine neue Dimension gab der Angelegenheit Außenminister Carl Bildt vom kommenden EU-Vorsitzland Schweden, das an sich erweiterungsfreundlich eingestellt ist: Die laufenden Friedensverhandlungen auf der geteilten Insel Zypern seien für die EU "die wichtigste Sache in diesem Jahr", so der Schwede. Denn "20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer ist es eine Schande, in Europa immer noch eine geteilte Hauptstadt zu haben", meinte Bildt mit Blick auf den zypriotischen Regierungssitz Nikosia.

Wegen der starren Haltung der Türkei in der Zypernfrage sind acht zentrale der insgesamt 35 Verhandlungsbereiche laut einstimmigen Beschluss der 27 Staats- und Regierungschefs bis auf weiteres eingefroren. Bis zur Lösung des Problems darf kein Kapitel abgeschlossen werden. Derzeit hält Ankara nach mehr als dreieinhalb Jahren Beitrittsverhandlungen mit der Union bei zehn formell geöffneten und einem vorläufig abgeschlossenen Bereich.