Muslimische Soldaten genießen bei der Bevölkerung Sympathie-Bonus. Die Taliban drohen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der Nato-Abzug aus Afghanistan schreitet voran und die Konturen der künftigen Machtverteilung am Hindukusch werden immer deutlicher: Während die Taliban auf dem Vormarsch sind und die afghanische Armee schrittweise die Kontrolle verliert, hat sich ein Nato-Land entschlossen, Afghanistan nicht zu verlassen: die Türkei. Ankara erklärt sich bereit, den Flughafen in Kabul weiterhin mit militärischen Kräften zu sichern. Das wurde beim letzten Nato-Gipfel klar - US-Präsident Joe Biden hat seinem Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan bereits für das Engagement gedankt. Möglich ist, dass die Türkei auch anderswo in Afghanistan Soldaten stationiert.
Dass der Flughafen von westlichen Soldaten gesichert wird, ist für Washington wichtig, weil auch die USA künftig eine Minimalpräsenz aufrecht erhalten wollen. Dazu gehören bewaffnete Kräfte - und diplomatisches Personal, das darauf angewiesen sein wird, dass es weiterhin Flugverbindungen nach Außen und eine medizinische Infrastruktur gibt.
Tanner ist "froh" überEnde des Einsatzes
Die Türkei genießt als muslimisches Land einen gewissen Sympathie-Bonus in Afghanistan, Ankara hat dort auch einiges in Infrastrukturprojekte investiert, sieht sich als regionale Macht und möchte seinen Einfluss nicht so ohne weiteres aufgeben. Den Taliban gelten freilich auch die Türken als feindliche Eindringlinge.
Trotzdem meinte Erdogan am Donnerstag, die Türkei könne nach der Entscheidung der USA zum Abzug "viel mehr Verantwortung" übernehmen. Allerdings pocht man hier auf finanzielle Unterstützung durch Washington und auch Deutschland - die es wohl geben wird.
Unterdessen ist der letzte österreichische Soldat aus Afghanistan zurückgekehrt. ÖVP-Verteidigungsministerin Klaudia Tanner zeigte sich angesichts des Endes des fast 20-jährigen Bundesheer-Einsatzes "froh" und "stolz". "In erster Linie bin ich froh, dass die Soldatinnen und Soldaten unverletzt wieder in die Heimat zurückgekommen sind", so Tanner.
Die Mission der Österreicher war 2002 mit damals 75 Infanterie-Soldaten im Rahmen der Stabilisierungstruppe Isaf gestartet. Nach einer zwischenzeitlichen Kontingentreduktion wurde 2004 eine Infanterieeinheit mit bis zu 100 Soldaten zur Isaf entsandt. Deren Hauptaufgabe war die Sicherung der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2005. Am 15. Jänner 2015 wurde Isaf von der Nato-Mission "Resolute Support" abgelöst, an der Österreich im Schnitt mit rund fünf bis 15 Mann beteiligt war, die unter anderem Soldaten der afghanischen Armee ausbilden sollten.
Zadic übt Kritik an Abschiebepraxis
Die UNO rechnet nach dem Nato-Abzug mit einer dramatischen Verschlechterung der Lebensbedingungen. Er verstehe, dass internationale Militäreinsätze wie jener in Afghanistan "nicht ewig aufrechterhalten werden können", so UNO-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP. Aber "der Abzug der US-Truppen und anderer Truppen ist ein weiterer Indikator dafür, dass die Gewalt danach zunehmen könnte".
Allgemein wird erwartet, dass die Zahl afghanischer Flüchtlinge weltweit - auch nach Europa - steigen wird. Das UN-Flüchtlingshilfswerk warnt den Westen in diesem Zusammenhang vor Abschiebungen. Die Sicherheitslage in Afghanistan lasse das "nur im Ausnahmefall" zu, heißt es.
Österreichs Justizministerin Alma Zadic von den Grünen hat jedenfalls deutlich erkennen lassen, dass sie Österreichs Abschiebepraxis nach Afghanistan sehr kritisch sieht. Das ÖVP-Innenministerium sprach sie dabei nicht direkt an.