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Türken, bitte warten

Von Martyna Czarnowska, Nikosia

Europaarchiv

Die Enttäuschung im türkischen Norden der geteilten Mittelmeerinsel Zypern ist groß. Obwohl die Bevölkerung bei einem Referendum im April mit einer Mehrheit von 65 Prozent für eine Wiedervereinigung gestimmt hatte, bleibt sie isoliert. Denn im griechischen Süden sprachen sich 75 Prozent gegen den Annan-Plan aus. Fünf Monate nach dem Beitritt Zyperns zur Europäischen Union patroullieren dort immer noch UNO-Soldaten.


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Das mächtige Flughafengebäude glitzert gläsern in der Sonne des frühen Nachmittags. Auf der Anzeigentafel im klimatisierten Terminal leuchtet eine einzige Zeile: Die nächste Maschine startet um 19 Uhr. Sie ist eine von drei, die an dem Tag abheben. Landen werden heute noch fünf. Der Flughafenangestellte Ahmet Sönmez drückt mir den Flugplan in die Hand, ich dürfe ihn behalten. Neun Flüge sind darin verzeichnet - nach Ankara, Istanbul und London.

Sönmez hat Zeit für mich. Die langgezogenen Ankunfts- und Abfahrtshallen sind leer, die Förderbänder für die Gepäckstücke stehen still, die Duty-free-Shops sind geschlossen. Einige Beamte unterhalten sich vor den Sicherheitsschranken, ein paar Menschen sitzen im Kaffeehaus.

Der Flughafen Ercan liegt knapp 20 Kilometer östlich der zypriotischen Hauptstadt Nikosia im türkischen Teil der Insel. Vor nicht einmal fünf Monaten wurde er nach einer umfassenden, von der Türkei finanzierten Renovierung wiedereröffnet, er entspricht allen derzeit gültigen internationalen Standards. Angeflogen wird er dennoch nur selten.

Denn das Embargo, das über den Norden der seit 1974 zweigeteilten Insel verhängt ist, schränkt auch Direktflüge ein. Die 1983 ausgerufene Türkische Republik Nordzypern wird nur von der Türkei anerkannt. An die 27.000 türkische Soldaten sind dort stationiert, türkisch-zypriotische Friedenstruppen werden sie genannt. Im griechisch-zypriotischen Süden heißen sie schlicht Besatzungstruppen. Alles Offizielle der türkischen Seite wird auf der griechischen Seite in Anführungszeichen gesetzt. Premier Mehmet Ali Talat ist der sogenannte Ministerpräsident, Treffen finden im sogenannten Präsidentenpalast statt, das Wort Grenze wird durch "crossing" ersetzt. Alles andere bedeutete doch die Anerkennung der Eigenständigkeit des Nordens.

Eine Chance auf die Wiedervereinigung Zyperns bot ein von UNO-Generalsekretär Kofi Annan forcierter Plan, über den die Bevölkerung beider Teile im April abstimmte. Er scheiterte am Nein der griechischen Zyprioten, die kurze Zeit später Bürger der Europäischen Union wurden. Im Norden findet das Regelwerk der EU keine Anwendung, obwohl die Mehrheit der türkischen Zyprioten für den Annan-Plan votierte.

Zwar hat die EU finanzielle Hilfe in Höhe von 259 Millionen Euro bis 2006 sowie Handelserleichterungen beschlossen. Doch die Modalitäten der Auszahlung sind noch unklar, und der Süden protestiert gegen die Maßnahmen.

Am Flughafen Ercan wird die Isolation Nordzyperns greifbar. "Wegen der griechischen Zyprioten sind wir nicht in der EU", beklagt sich Ahmet Sönmez. "Dabei wollen wir eine Lösung und ein Mitglied der Union sein." Daher seien auch die Direktflüge wichtig. Dass er dann mehr Arbeit haben würde? Er wolle doch arbeiten.

An die 350 Euro beträgt das Minimumgehalt im Norden; das Pro-Kopf-Einkommen im Süden ist fünf mal höher. Handel ist nur über die Türkei möglich, von der Nordzypern finanziell völlig abhängt. Von seinen touristischen Attributen kann der Inselteil kaum profitieren. An die 250.000 Urlauber und Urlauberinnen kommen jährlich hierher. Das ist nicht einmal ein Zehntel der Gäste im Süden.

"Das ist nicht wirklicher Tourismus, was wir hier machen", sagt denn auch der Hotelbesitzer Sabri Steve Abit. Er sitzt auf der Terrasse seiner Bungalowanlage in der Nähe der Hafenstadt Keryneia/Girne, sanft fällt der Hügel zum Meer ab.

Vor vielen Jahren ist Sabri Steve Abit nach England zum Studium gegangen, dann nach Deutschland. 30 Jahre lang hat er in Osnabrück gewohnt, hat in der NATO gedient, dann Reisebüros geleitet. 1989 begann er auf Zypern zu bauen, seit zwei Jahren lebt er ständig hier. Zwanzig kleine Familien verdienen an seiner Hotelanlage, fast alle seine Gäste kommen aus Großbritannien.

Auf den ersten Blick hat der Hotelier wenig Grund zur Klage. Den Einwand lässt er aber nicht gelten. "Weil es mir gut geht, bedeutet das nicht, dass ich Ungerechtigkeiten hinnehme", erklärt er. Und derer gebe es viele. Kein türkischer Zypriote darf seine Zitronen direkt nach Europa ausführen, weil er die "falschen" Papiere hat. Es gibt keine Direktflüge von Nordzypern. Ein Taxi aus dem Norden kann nicht in den Süden fahren, weil dieser es nicht zulässt.

Es ist die Verhinderungspolitik des Südens, die Sabri Steve Abit frustriert. Und die nicht eingehaltenen Versprechen der Europäischen Union. "Die Enttäuschung über die EU sitzt tief", berichtet er. Es sei eine Blamage, dass die EU den Beitrittsantrag Zyperns angenommen und dann jenen Teil aufgenommen habe, der Nein zum Annan-Plan gesagt hat. "Man soll uns nicht Geld schenken, sondern verdienen lassen", stellt der Hotelbesitzer klar.

Seit dem Referendum hat sich die Stimmung im Norden verschlechtert, meint Klaus M. Storn, bei der UNO zuständig für zivile Angelegenheiten. Er ist einer von drei Österreichern, die auf Zypern ihren Dienst versehen. Die Friedensmission mitten in der EU wird alle sechs Monate verlängert, die Pufferzone, in der nur in Ausnahmefällen etwas verändert werden darf, reißt die Insel weiter auseinander, Minenfelder werden nur langsam geräumt.

Der Wille zur Machtdemonstration kann auf beiden Seiten absurde Formen annehmen. In einem Ort im Norden wohnen fünf griechische Zyprioten. Deren Kirche interessiert die türkisch-zypriotische Administration nicht. Doch den Schlüssel dazu hat der Sekretär des Ortsvorstehers. Und den muss die griechische Zypriotin, die in der Kirche nach dem Rechten schaut, immer aufsuchen.

Im Süden wollen sie eine orthodoxe Kapelle bauen - just auf einem Hügel gegenüber des türkischen Stützpunkts. Die UNO lehnt das Projekt als Provokation ab. Das Fundament wird trotzdem ausgehoben. Die Arbeiten werden nur kurz gestoppt, wenn eine Patrouille der Vereinten Nationen vorbeikommt.

Nach jahrzehntelangen Bemühungen wurde im türkischen Norden eine griechische höhere Schule eröffnet. Finanziert vom Norden, heißt es im Norden. Bezahlt vom Süden, sagen sie im Süden. Zwölf Kinder gehen derzeit hin. Die Liste der Lehrer-Innen, die der Süden vorschlug, umfasste 24 Namen. Die UNO hatte unter anderem die Aufgabe, die griechischen Schulbücher auf türkisch-feindliche Inhalte zu überprüfen. Und eine Abteilung war dann tagelang damit beschäftigt, Seiten rauszureißen.

Dennoch glaubt Storn, dass eine dauerhafte Lösung des Zypern-Problems nicht von außen aufoktroyiert werden kann: "Sie kann nur von den Zyprioten kommen." Ohne Vermittler können viele von ihnen aber noch immer nicht miteinander reden.