Zum Hauptinhalt springen

Türken wollen nicht mit USA in den Krieg ziehen

Von Hermine Schreiberhuber

Politik

Ankara - Die USA würden für ihre Militäroperation im Irak gerne rund 80.000 amerikanische Soldaten in der Türkei stationieren. Wenn es nach dem Wunsch Washingtons ginge, so sollten außerdem zur Eröffnung einer Nordfront gegen den Irak 30.000 bis 60.000 türkische Soldaten in den Nordirak einmarschieren und alle türkischen Häfen und Luftbasen mit Kriegsbeginn offen stehen. Dieses Szenario füllt seit Jahresbeginn die türkischen Medien und erfüllt die türkische Öffentlichkeit mit Unbehagen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die US-Kriegsvorbereitungen halten die türkische Regierung und die Offiziere im Lande Atatürks auf Trab, nicht nur dann, wenn wie in dieser Woche amerikanische Offiziere im Lande weilen, um die Operationstüchtigkeit der türkischen Militärstützpunkte zu überprüfen. Ministerpräsident Abdullah Gül wird permanent vom Generalstab und von den Sicherheitsdiensten gebrieft, beruft Kabinettssitzungen in großer Dichte ein, informiert Oppositionschef Deniz Baykal regelmäßig, desgleichen Außenminister Yasar Yakis das Parlament. Wenn die Regierung auch gegenüber den USA argumentiert, dass das Parlament das letzte Wort für oder gegen eine Mitwirkung an einer Irak-Operation habe, so steht doch fest, dass diese folgenschwere Entscheidung in ihren Händen liegt. Geführt vom "starken Mann" Tayyip Recep Erdogan, hat die regierende gemäßigt-islamische AKP im Parlament eine derart abgesicherte Mehrheit, dass die Volksvertretung eine Kabinettsentscheidung nicht konterkarieren würde.

Von den Parlamentariern in Ankara wurden denn auch bange Fragen gestellt, wie die türkischen Zeitungen berichten. "Was geschieht, wenn die US-Soldaten auf dem Landweg eintreffen, auch wenn wir dagegen sind?" fragte laut "Turkish Daily News" ein Volksvertreter. Denn schließlich bedienen sich die USA ohnehin türkischer Luftstützpunkte. Kein Regierungsmitglied habe eine klare Antwort gegeben. Das Feuer auf US-Soldaten zu eröffnen, die das Territorium ohne Erlaubnis betreten, käme einer Kriegserklärung gegen die USA gleich. Unbeantwortet blieb auch die Frage, was Ankara tun könne, wenn Washington nach einem Irak-Feldzug seine 80.000 "Wunsch-Soldaten" nicht zurückzöge.

Was in der türkischen Öffentlichkeit aber noch mehr Anlass zur Sorge gibt, ist die Aussicht auf eine neue Wirtschaftskrise, in die das Land am Bosporus durch einen Krieg im Nachbarland getrieben würde. Zehn Jahre sind nach dem Golfkrieg vergangen, und die türkische Wirtschaft hatte diesen Waffengang mit Verlusten in Höhe von 40 Milliarden Dollar zu bezahlen. Die Türkei wäre wiederum Hauptleidtragender eines Irak-Krieges. Freilich fürchtet Ankara, das mit hohen Krediten des USA-dominierten IWF gegenwärtig seine Wirtschaft zu sanieren versucht, auch, Washington zu vergrämen.

Die Türkei hat diesmal noch andere Gründe, eine Zustimmung zu einer Militäraktion gegen den Irak zu verweigern oder zumindest hinaus zu zögern - bei allem Druck, den die USA ausüben, wobei nicht vergessen werden darf, dass zwischen dem NATO-Land und dem USA-Schützling Israel ein Militärabkommen existiert. Es geht um die Beziehungen zur islamischen Welt, speziell zu den arabischen Nachbarn, und die Glaubwürdigkeit einer im Islam verwurzelten Regierungspartei. Es geht aber auch um die Beziehungen zu Europa, denn noch nie war die Türkei einer Anbindung an die EU so nahe.

Innenpolitisch gesehen, muss die Regierung in Ankara nicht nur auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen, die einen Krieg klar ablehnt, sondern auch befürchten, dass eine kriegerische Entwicklung die Macht der Militärs in der Staatsführung noch zusätzlich vergrößert. Dies würde mittelfristig zu einer Militarisierung des demokratischen Systems führen - in einem Land, wo ohnehin den Streitkräften in Gestalt des Nationalen Sicherheitsrates eine institutionalisierte Ordnungsfunktion eingeräumt wird.

Bisher haben militärische und zivile Führung in Ankara beim Irak-Krisenmanagement gut zusammengespielt. Dem Selbstbewusstsein der Türken tat es gut, als US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld von Generalstabschef Hilmi Özkök im Herbst glatt ausgeladen wurde. Bei seiner Visite in Ankara wollte Rumsfeld ohne Voranmeldung beim höchsten Militär vorsprechen, der ihn aber elegant in die Schranken wies: Ansprechpartner für den Sendboten des Weißen Hauses sei die zivile Regierung, nicht die Militärführung. Und führende Generäle legten kurz vor der US-Inspektion der Militärbasen noch ein Schäuferl nach mit den Worten "Die Armee steht nicht zum Verkauf". Sie bezogen sich damit auf die in Aussicht gestellte US-Hilfszusage von vier Mrd. Dollar: "ein Trostpflaster" für's Mitmachen am Irak-Feldzug.