Die Pläne der Ex-Regierung hätten für viele Verlierer gesorgt. Das Sparpotenzial ist überschaubar.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Von manchen Dingen aus der gemeinsamen türkis-blauen Regierungszeit will die ÖVP nichts mehr hören. Die viel kritisierte türkis-blaue Reform des Arbeitslosengeldes scheint so eine Sache zu sein. Ob die ehemals paktierten Verschärfungen bei der geplanten Reform mit den Grünen weiterhin eine gewichtige Rolle spielen werden, dazu will die ÖVP nichts sagen. Mit dem neuen Juniorpartner lassen sich diese wohl auch schwerer realisieren. Die Verschwiegenheit der ÖVP zum türkis-blauen Arbeitslosengeld könnte aber mit einer Wifo-Studie des Sozialressorts zu tun haben, die kürzlich veröffentlicht wurde. Die "Wiener Zeitung" berichtete vorab. Arbeitsministerin Christine Aschbacher will die Studie im Reformprozess berücksichtigen.
Konkret sollten Höhe und Bezugsdauer des Arbeitslosengelds unter der Vorgängerregierung stärker an die Versicherungszeiten gebunden und die Notstandshilfe als Auffangnetz abgeschafft werden. Die "Ibiza-Affäre" machte diese Pläne jedoch zunichte.
Ex-Sozialministerin Beate Hartinger-Klein ließ die Ansinnen vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) in einem Szenario gemäß des damaligen Regierungsprogramms mit starken Einschnitten und zwei etwa durch längere Bezugsdauern, erleichterte Anwartschaften und Ergänzungsbeträge abgefederte Varianten durchrechnen. Konkret auf Basis von durchschnittlich 354.037 Arbeitslosengeld- oder Notstandshilfebeziehern aus dem Jahr 2016.
In allen Fällen würde ein Teil der heutigen Arbeitlosengeldbezieher keine Leistung mehr erhalten. In jener Variante, in der der Arbeitslosengeldanspruch und die Bezugsdauer stärker an die Versicherungszeiten gekoppelt und der Bezug bei fehlender Notstandshilfe nach und nach abnimmt, sind die Auswirkungen am gravierendsten.
Etwa 11.000 Personen oder drei Prozent der Bezieher würden demnach keine Leistung mehr bekommen (bei den "großzügigeren" Varianten jeweils 4000), zirka 110.000 oder 31 Prozent der Bezieher hätten ihre Leistung laut Studie zeitlich "ausgeschöpft" (bei den "großzügigeren" Varianten jeweils 78.000 Personen).
Grüne wollen höheres Arbeitslosengeld
Zu den Verlierern hätten vor allen Frauen gezählt, weil im "schärfsten" Szenario der Ergänzungsbetrag wegfällt. Aufgrund von niedrigeren Verdiensten und Versicherungszeiten durch häufigere Kinderbetreuungszeiten sind Frauen häufiger als Männer auf die "Aufstockung" des Arbeitslosengeldes angewiesen, sagt einer der Studienautoren, Helmut Mahringer. Mit einem Wegfall des Bezugs konfrontiert gewesen wären laut Studie auch Langzeitarbeitslose, darunter besonders Personen mit nur Pflichtschulabschluss sowie Erwerbslose mit gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderung. Jugendliche hätten durch den Wegfall der Jugendanwartschaft (Bezugsanspruch nach sechs Monaten) ebenfalls häufiger kein Arbeitslosengeld bekommen. Etwa ein Fünftel hätte von der "scharfen" Variante profitiert.
Durch die Abschaffung der Notstandshilfe wären viele der heutigen Erwerbslosen zudem in die Mindestsicherung gerutscht, die der "degressiven" Wirkung des Arbeitslosengeldes entgegengestanden hätte, sagt Mahringer. In der schärfsten Variante ergeben sich dadurch auch Mehrkosten bei Mindestsicherung beziehungsweise Sozialhilfe von fast einer Milliarde Euro, die künftig die Bundesländer zu tragen hätten. Die Ersparnisse sind laut Studie auch deshalb selbst in der "schärfsten" Variante mit 0,15 Milliarden Euro überschaubar. Die anderen Varianten hätten sogar insgesamt mehr gekostet.
Das Wifo weist darauf hin, dass bis zuletzt unklar blieb, welche Reform die ehemals türkis-blaue Regierung angestrebt hätte.
Gemeinsam mit den Grünen soll das Arbeitslosengeld nun abermals "weiterentwickelt" werden, heißt es im Regierungsprogramm. Wie genau, das ist noch Teil von Verhandlungen. Wie die "Wiener Zeitung" berichtete, lehnten die Grünen ein möglichst "degressives" Modell, wie es die Vorgängerregierung wollte, bereits in den Koalitionsverhandlungen ab. Der Juniorpartner will ein höheres Arbeitslosengeld in den ersten Monaten, ehe es auf die übliche Nettoersatzrate von 55 Prozent absinkt. Darunter soll es aber auch bei längeren Bezügen nicht fallen. Von einem höheren Bezug zu Beginn erwarten sich die Grünen höhere Vermittlungsraten. Einem Ende der Notstandshilfe erteilten die Grünen eine Absage.
Mahringer hält dem grünen Vorstoß entgegen, dass so die bei manchen Betrieben, etwa in saisonalen Branchen, praktizierte "vorübergehende Verlagerung Beschäftigter in die Arbeitslosigkeit, sogar mit höherem Arbeitslosengeld ausgestattet wird, was ein Anreizproblem verstärken kann". Durch Qualifizierung, Beratung und Vermittlung könnten Arbeitsanreize und Beschäftigungschancen verbessert werden.