Wiens Neos-Chef Christoph Wiederkehr würde in eine Koalition mit den Sozialdemokraten gehen, aber nicht mit der ÖVP.
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Für die Wiener Neos geht bei der Wien-Wahl am 11. Oktober deren Chef Christoph Wiederkehr an den Start. Mit der "Wiener Zeitung" hat er über das Programm und die erhofften Chancen seiner Partei gesprochen.
"Wiener Zeitung": Inwieweit hat sich für Sie die Corona-Krise auf das Wahlkämpfen ausgewirkt?
Christoph Wiederkehr: Es hat sich alles sehr in die digitale Welt verlagert. So fand unsere Auftaktveranstaltung zum Beispiel per Videoübertragung in allen Bezirken gleichzeitig statt. Das heißt, normalerweise haben wir hunderte von Menschen bei einer großen Veranstaltung versammelt. Dieses Mal haben wir uns nacheinander in die unterschiedlichen Regionen Wiens geschaltet, wo sich jeweils kleinere Gruppen versammelt haben.
Spart das Kosten?
Für Veranstaltungen fällt weniger an, aber die Kosten verschieben sich - und zwar mehr in Richtung digitale Werbung, Online-Kampagnen etc. Der direkte Kontakt geht dann über Facebook, Instagram und Twitter, wir haben aber auch Infostände auf der Straße.
Bitte ganz kurz erklärt: Warum sollten die Wienerinnen und Wiener Ihrer Meinung nach am 11. Oktober die Neos wählen?
Weil es nicht wurscht ist, dass wir vier von zehn Kindern an den Pflichtschulen haben, die nicht ordentlich lesen und schreiben können. Weil es nicht wurscht ist, dass die Arbeitslosigkeit in Wien bei über 15 Prozent liegt und Betriebe kaum noch Luft zum Atmen haben. Weil es nicht wurscht ist, dass die Freunderlwirtschaft in der Stadt noch immer so einen hohen Stellenwert hat. Und eine Stimme für die Neos ist eine Stimme für eine lebendige Wirtschaft mit mehr Arbeitsplätzen und für gute Schulen und Kindergärten.
Noch vor ein paar Monaten haben Sie sich für einen unabhängigen Bürgermeister ausgesprochen, um die rote Vorherrschaft in Wien zu beenden. Jetzt gehen Sie plötzlich davon aus, dass Michael Ludwig (SPÖ) auf jeden Fall wieder Bürgermeister wird. Sie nehmen Ludwig sogar das SPÖ-Schreckensszenario, dass sich Grün, Türkis und Pink zusammentun könnten, indem Sie eine Koalition mit Gernot Blümel ausschließen. Warum?
Es ist ganz klar, dass Michael Ludwig Erster wird. Die Frage ist lediglich, welchen Koalitionspartner er sich aussuchen wird. Und vor allem, ob er sich traut, auch mit uns - wir machen ihm ganz offen das Angebot - Wien zu reformieren und weiterzuentwickeln. Und die Abgrenzung von Blümel habe ich ganz klar angesprochen, weil es eine Frage von Haltung ist. Denn Blümel ist kein Bürgermeister für Wien - er hat im U-Ausschuss gelogen, er hat sich im Budget vertan und jetzt nimmt er sich mit einer Politik rechts der Mitte die FPÖ als Vorbild. Mit so jemandem können die Neos keine Koalition eingehen. Abgesehen davon, dass es sich rechnerisch nicht ausgehen würde.
Aber nochmals: Vor ein paar Monaten hat das noch ganz anders geklungen, da wollten Sie die SPÖ aus dem Rathaus haben.
Ich habe nie Politik gemacht, um etwas zu verhindern oder gegen etwas zu sein, sondern für etwas zu sein. Und die damalige Idee war ein unabhängiger Bürgermeister - auch als Vision für die Zukunft -, aber ich bin Realist: Bei dieser Wahl wird Ludwig die Nummer 1 und er wird sich den Koalitionspartner aussuchen können. Es bleibt nur die Frage, wen gibt’s billiger: die Grünen oder die ÖVP. Wir wären jedenfalls bereit, die Verantwortung zu übernehmen, aber nicht, unsere Werte aufzugeben.
Wäre es nicht trotzdem ein bisschen verlockend, gemeinsam mit Grün und Türkis den roten Bürgermeister abzusetzen?
Diese Variante ist ausgeschlossen, zumal Ludwig schon jetzt in den Umfragen bei über 40 Prozent liegt.
Oder ist es ein Kalkül, es auszuschließen, um die Motivation der potenziellen SPÖ-Wähler zu drosseln?
Noch einmal: Mir geht es da nicht um Taktik, sondern um inhaltliche Überzeugung. Dass die SPÖ immer mit einem Bedrohungsszenario arbeitet, ist sowieso offensichtlich - vor allem jetzt, weil ihr die FPÖ durch ihre Schwäche abhandengekommen ist. Deswegen wollte ich Klarheit schaffen - nicht zuletzt auch wegen der Wähler, damit sie auch wissen, was sie bekommen, wenn sie uns wählen.
Wenn Sie ohnedies davon ausgehen, dass es Rot-Türkis wird oder wieder Rot-Grün, was ist dann das Ziel der Neos?
Ich kämpfe darum, dass wir möglichst stark werden - so stark, dass Koalitionsverhandlungen möglich sein können. Wir sind die Kontrolle und wir sind der Reformmotor, der Tritt in den Hintern der SPÖ.
Sie sind, was die Bekanntheit in Wien anbelangt, auf einer Ebene mit Dominik Nepp von der FPÖ. Was machen Sie, um Ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen?
Eine Wahl ist für mich kein Bekanntheitswettbewerb, sondern ein Wettbewerb um die besten Ideen und um das, was Wien braucht. Und es haben mich in den vergangenen Jahren schon viele als Aufdecker der Stadt kennengelernt - zum Beispiel das KH-Nord betreffend. Jetzt sehen wir beim Ausbau der U5 die nächste Kostenexplosion auf Wien zukommen. Deswegen ist es mir wichtig, auch mit solchen Themen aufzufallen, und nicht mit internen Skandalen oder rechten Entgleisungen, wie es etwa Herr Nepp macht.
Sie haben ein Fairnessabkommen für den Wahlkampf von allen Parteien gefordert. Trotzdem sind die Neos mit Kamerateams in die Büros der nicht amtsführenden Stadträte vorgedrungen und haben die Reaktionen gefilmt - ist das für Sie eine faire Wahlkampf-Aktion?
Wie Sie gesagt haben, ist es bei der Aktion um die nicht amtsführenden Stadträte gegangen - um die teuersten Arbeitslosen der Stadt. Die bekommen im Jahr mehr als eine Million Euro fürs Nichtstun, die vom Steuerzahler gezahlt werden. Und die Neos sind zu den Büros gegangen, haben angeklopft und geschaut, ob sie da sind. Das Ziel war, sie zu fragen, was sie denn so tun - was sie nicht getan haben, weil sie gar nicht da waren. Das finde ich vollkommen angemessen, dass man so etwas in einem Wahlkampf macht. Beim Fairnessabkommen, das ich schon länger als ein halbes Jahr thematisiere, geht es um etwas ganz anderes: Nämlich darum, dass es in Wien keine Sanktionen gibt, wenn die Wahlkampfkostenobergrenze überschritten wird. Die Obergrenze ist mit 6 Millionen Euro ohnehin zu hoch angesetzt. Aber wenn eine Partei 12 Millionen ausgibt, ist es auch egal. Und das wollen wir ändern.
Ist es nicht der falsche Zeitpunkt, mit diesem Thema Aufmerksamkeit zu erregen, wo die Wahlkampfkosten coronabedingt ohnehin unter den normalen Möglichkeiten liegen?
Ein Fairnessabkommen hat mehrere Bestandteile. Ziel ist, einen fairen, einen transparenten und kostengünstigen Wahlkampf zu machen - und dass die Einnahmen und Ausgaben geprüft werden dürfen. Nur zur Verdeutlichung: Der Stadtrechnungshof darf jeden kleinen Kulturverein prüfen, der Förderungen bekommt. Aber Parteien dürfen nicht geprüft werden. Das halte ich für vollkommen fragwürdig - und da spielt der Zeitpunkt keine Rolle, wann mit diesem Missstand endlich aufgeräumt wird.