Grüner Nationalratsabgeordneter Reimon schießt sich auf das Vorhaben ein. Die Präventivhaft stößt auf rechtliche Hürden.
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Deutliche Misstöne waren am Donnerstag zwischen der Volkspartei und den Grünen beim Thema Sicherungshaft zu vernehmen. Während der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) auf die Einführung der Präventivhaft drängte, schoss sich der Nationalratsabgeordnete Michel Reimon (Grüne) darauf ein.
Einer Verfassungsänderung zur Sicherungshaft für Asylwerber werde er nicht zustimmen, "weil das für die Sicherheit Österreichs überhaupt nichts bringt", sagte Reimon im Ö1-"Mittagsjournal". Es handle sich um eine "Marketing-Diskussion". Im grünen Klub werde das "sehr einheitlich" gesehen.
Am Montag hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz betont: "Die Sicherungshaft wird kommen." Laut Kurz soll sie über Personen verhängt werden können, die bereits ein Gewaltverbrechen begangen haben und eine Drohung aussprechen. Diese Drohung muss sich nicht gegen eine Einzelperson richten und kann auch nur allgemein formuliert sein. Damit werde eine "Gesetzeslücke geschlossen, die wir im Moment haben", sagte Kurz.
Verfassungsrechtler stehen diesen Plänen skeptisch gegenüber. Franz Merli, Professor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Wien, bezweifelt, dass durch die derzeit angedachte Form der Sicherungshaft tatsächlich eine Lücke geschlossen wird: "Nur mit der allergrößten Mühe könnte man vielleicht einen Einzelfall konstruieren, bei dem eine solche Haft vertretbar wäre."
Relevanz fraglich
Durch diverse Reformen sei die "Strafbarkeit bereits ins Vorfeld verlagert worden", sagt Merli. So macht sich strafbar, wer Terroranschläge plant oder sich als Mitglied an einer kriminellen Vereinigung (§§ 278 ff Strafgesetzbuch) beteiligt. Bei Drohungen kommen zudem die Straftatbestände der Nötigung, schweren Nötigung und gefährlichen Drohung (§§ 105-107 StGB) in Betracht. Auch wer eine größere Gruppe von Menschen ernsthaft bedrohe ("Ich stech’ euch alle ab!"), könne sich bereits nach der derzeitigen Gesetzeslage strafbar machen, sagt Strafrechtler Alexander Tipold. Ob es bei diesen Fällen daher eine Sicherungshaft braucht, sei fraglich, so Verfassungsrechtler Merli: "Denn wenn wir uns im gerichtlichen Strafrecht befinden, kann über den Beschuldigten bereits die Untersuchungshaft verhängt werden."
Geht man hingegen davon aus, dass sehr wohl eine Gesetzeslücke besteht und allgemein formulierte Drohungen strafrechtlich nicht ausreichend verfolgt werden können, besteht ein anderes Problem. Der Hintergrund: Das Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit stellt klar, dass Personen nur aufgrund bestimmter Haftgründe inhaftiert werden dürfen. Das ist etwa der Fall, wenn die Person einer Straftat verdächtigt oder wegen einer solchen gerichtlich zu einer Haftstrafe verurteilt wird.
Zwei mögliche Lösungen
"Solange diese ganz allgemeine Drohung also nicht als Straftat qualifiziert werden kann, so lange ist die Sicherungshaft nicht verfassungskonform", gibt der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger zu bedenken. Daher müsste der Gesetzgeber zunächst einmal bestehende Straftatbestände nachschärfen oder neue Tatbestände für solche Drohungen schaffen.
Der springende Punkt ist: Wäre eine solche Drohung strafrechtlich relevant, wäre sowieso wieder eine U-Haft möglich. Eine Sicherungshaft würde also ad absurdum geführt werden: Man bräuchte sie schlicht nicht mehr, erklärt Öhlinger. Laut dem Verfassungsjuristen bieten sich nun zwei Lösungsvarianten an.
Einerseits könnte man einfachgesetzlich im Strafrecht nachschärfen. Fraglich sei, ob ein Tatbestand, der allgemeine Drohungen unter Strafe stelle, aber verfassungskonform ist: "Der Gesetzgeber kann natürlich nicht völlig vage Tatbestände schaffen. Strafdrohungen müssen einen hohen Grad an Bestimmtheit aufweisen."
Auch Verfassungsrechtler Merli ist skeptisch: "Was ist eine solche allgemeine Drohung? Wenn irgendwer betrunken etwas Blödes sagt: Wird er dann gleich eingesperrt deswegen?" Die Bewertung solcher Aussagen werde sich äußerst schwierig gestalten: "Darüber müssen dann Staatsanwälte und Richter entscheiden, die nicht dabei waren."
Andererseits wäre es möglich, das Verfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit zu ändern. Dort könnte die Präventivhaft als weiterer Haftgrund verankert werden. Diese Haft wäre, da sie in der Verfassung steht, verfassungskonform. Allerdings bräuchte Türkis-Grün dafür eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat.
Die Diskussionen werden weitergehen: Hochrangige Grüne hatten sich zuletzt ebenfalls skeptisch gezeigt, waren aber um Zurückhaltung bemüht. Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer möchte mit Experten diskutieren, um festzustellen, ob eine gesetzliche Lücke besteht. Sie selbst könne sich das nur schwer vorstellen, sagte sie. Die FPÖ sieht die Regierung vor dem Aus: "Sie implodiert bereits, bevor sie sich noch halbwegs implantiert hat", so FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl.