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Türkis vor Glück

Von Walter Hämmerle

Analysen

Sebastian Kurz übernimmt die ÖVP. Kann er halten, was sich alle von ihm versprechen? | Eine Analyse.


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Wien/Linz. Wenn Zuversicht in der Politik das höchste Gut ist, dann badet die Volkspartei momentan in purem Glück. Ausgerechnet die ÖVP, dieses Synonym für Selbstzweifel und Pragmatismus. Diese Partei, die ihre Obleute meist nur geduldet, oft ignoriert und selten geliebt hat. Diese Partei, die lieber den Fürsten von Salina aus Tomasi di Lampedusas Meisterwerk "Der Leopard" zitierte, wonach sich alles ändern müsse, damit alles beim Alten bleiben könne, als dass sie selbst nach diesem Motto leben wollte.

Und das alles soll vorbei sein, nur weil ein 30-Jähriger verspricht, die ÖVP zu verzaubern. Allerdings nicht, damit alles beim Alten bleibt, sondern dass es wieder so wird, wie es schon war. Heraus aus der unglücklichen Gegenwart, zurück zu den Zeiten, als die ÖVP den Kanzler stellte. Das sind die Erwartungen, die die Delegierten am Samstag in Linz auf die Schultern von Sebastian Kurz hieven. Die Partei hat um ihn geworben, er hat sie erhört, das Betteln und Fordern im Vorfeld war bloße Inszenierung. Nun erfolgt die Krönungsmesse.

Seltsam vertraut

Kurz hat es mit scheinbar wunderbarer Leichtigkeit geschafft, der ÖVP neues Selbstbewusstsein einzuhauchen - oder besser gesagt, ihrem ewigen Kanzler-Anspruch mit Zustimmungsprozenten wieder Substanz zu verleihen. Vorerst zwar nur stimmungs- und umfragetechnisch, aber auch das ist keine geringe Leistung.

Was den Hoffnungsträger selbst bewegt, wohin er das Land im Fall des Falles führen will, das ist derzeit noch ein unentdeckter Kontinent. Es ist gar nicht gesagt, dass sich das rasch ändern muss. Schließlich agiert Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel seit 2005 innenpolitisch wie eine Sphinx; und wenn die Stimmung bleibt, wie sie ist, steht Merkel vor einer weiteren Amtszeit, ohne dass sie ihr Herz den Wählern ausgeschüttet hätte. Der Satz "Sie kennen mich" hat gereicht.

Auch bei Kurz haben die Leute das Gefühl, sie kennen ihn. Relativ gesehen, und gemessen an der schnelllebig gewordenen Innenpolitik, stimmt das sogar. Im vergangenen Jahrzehnt gewann das Personalkarussell beständig an Fahrt, Regierung und Parteizentralen gleichen mittlerweile einem Durchhaus. Und so kommt es, dass Kurz mittlerweile nicht mehr nur das jüngste, sondern auch nach Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) das dienstälteste Regierungsmitglied ist: 2011 beförderte Michael Spindelegger den damals 24-Jährigen überraschend zum Staatssekretär für Integration im Innenministerium und 2013 zum Außenminister. Kurz’ Entsprechung von Merkels "Sie kennen mich" lautet: "Ich habe die Balkanroute geschlossen." Für Freund wie Gegner ist dieser Satz - gekoppelt mit einem Kampf gegen Parallelgesellschaften und den politischen Islam - der Angelpunkt seiner Glaubwürdigkeit. Und die Behauptung ist auf der einen Seite so wahr, wie sie auf der anderen Seite falsch ist.

Anfang 2016 beschlossen auf Initiative von Kurz die drei EU-Staaten Österreich, Slowenien und Kroatien gemeinsam mit Mazedonien und Serbien, die Grenzbalken auf der Balkanroute wieder hochzufahren. Bis dahin waren in den Monaten zuvor hunderttausende Migranten ohne jede Kontrolle nach Mittel- und Nordeuropa durchgewunken worden. Die Maßnahme war heftig umstritten, innen- wie europapolitisch: Unmöglich, unsolidarisch, unmenschlich, lautete der Tenor der Kritiker. Wenig später verhandelte die EU auf Betreiben von Merkel ein ebenso umkämpftes Abkommen mit der Türkei aus, um den Flüchtlingsstrom über die Ägäis nach Griechenland zu stoppen. Seitdem läuft das politische Match, wem das Verdienst gebührt, die Flüchtlingskrise bewältig zu haben: Kurz mit der Sperre der Balkanroute oder Merkel mit dem Türkei-Deal?

Die naheliegende Antwort wäre: beiden. Aber weil Kurz und Merkel in dieser Frage als Kontrahenten auftreten, passt eine solch salomonische Abwägung keinem ins Konzept.

Seit der Sache mit der Balkanroute ist Kurz ins europäische Scheinwerferlicht gerückt. In deutschen Talkshows ist der eloquente Ösi, der sich nicht scheut, harte Ansagen höflich und in einem sachlichen Ton vorzutragen, ein gern gesehener Gast. Am liebsten zu Flüchtlingen, Mittelmeer und Islam. Für Politiker aus dem kleinen Alpenland noch immer irgendwie ein Ritterschlag.

Kann Kurz die ÖVP am 15. Oktober tatsächlich wieder zur stärksten Kraft machen, womöglich sogar ins Kanzleramt führen? Nimmt man die Umfragen als Maßstab, sind die Chancen dafür mindestens intakt. Nimmt man die Heftigkeit der Attacken, mit denen SPÖ, FPÖ, Grüne und Neos den Außenminister ins Visier nehmen, scheinen die Aussichten sogar mehr als gut. Tatsächlich ist dem neuen ÖVP-Obmann das Kunststück gelungen, das bürgerliche Lager auf fast wundersame Weise hinter sich zu einen und gleichzeitig in anderen Revieren zu wildern. Wegen ihm kann sich die FPÖ innerlich schon einmal aus dem Kanzlerrennen verabschieden, und die Neos müssen wieder um ihre Existenz bangen. Bisher jedenfalls haben die Gegner im Wahlkampf noch kein Rezept gefunden, den Überflieger wieder zurück auf den Boden zu holen. Kritik wie persönliche Attacken perlen bis dato an Kurz einfach ab.

Gefühlter Neubeginn

Die Konsequenz, Weitsicht und Selbstsicherheit, mit denen der Hoffnungsträger seinen Aufstieg geplant und umgesetzt hat, die Tiefe und Breite seines Netzwerks, das er sich - mit der Jungen Volkspartei als Fundament - in und außerhalb der Partei aufgebaut hat: Ist das nun alles große Strategie und Können, Zufall oder vielleicht doch nur unverschämtes Glück? Und gelingt es Kurz wirklich, seine Welle an Sympathie und Zustimmung ohne Sturz bis zum 15. Oktober zu surfen?

Sein Rezept für dieses Ziel lautet: Weiterhin den eigenen Markenkern pflegen und ansonsten das Zielpublikum nicht unnötig verunsichern, dabei aber trotzdem das angenehm-prickelnde Gefühl eines Neubeginns verströmen. Deshalb die neue Parteifarbe Türkis und all das Brimborium um neuen Stil und neue Politik. Nüchtern betrachtet bewegt sich die Kurz-ÖVP nämlich noch in den ohnehin breiten Bahnen des Bisherigen, die heiligen Kühe grasen vorerst unversehrt weiter. Das kann sich zwar noch ändern, wenn Kurz die Details seines Wahlprogramms präsentiert; aber genau so ist möglich, dass er auf seine Zugkraft vertraut, indem die eigene Person zum Programm wird, im Verbund mit all den frischen Gesichtern, die er auf seine Liste holen will.

Denn auch das ist wahr: Sachpolitik wird, jedenfalls wenn es für die Bürger ans Wählen geht, hoffnungslos überbewertet. Wer wen warum wählt, das ist das komplexe Resultat einer Vielzahl von Faktoren, ein Amalgam aus Vermutungen und Erwartungen. Bei den Schwarzen, ah Pardon Türkisen, jedenfalls ist die Hoffnung wieder zurück.