Integrationstag als Sprachrohr für Wirtschaft und Zivilgesellschaft.
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Wien. Man stelle sich vor, im Jahr 2015 zerfällt der Euro und mit ihm Teile der Europäischen Union. Nationalismen nehmen zu und die Fremdenfeindlichkeit steigt. Wirtschaftlich starke Staaten - unter anderem Österreich - schließen sich zusammen, um die Währung als sogenannten "Kern-Euro" weiterzuführen. Sein Wert würde dadurch sprunghaft ansteigen mit dramatischen Folgen für den Exportweltmeister Österreich. Die Produkte lassen sich immer schwerer ins Ausland verkaufen, die Arbeitslosigkeit steigt.
Auch die Nichtreform des Bildungssektors würde laut Johannes Kopf, Vorstand des AMS Österreich, zu einem unattraktiven Wirtschaftsstandort führen.
Stellen sie sich vor, der Bildungsbereich in Österreich würde nicht reformiert werden. Gleichzeitig verlangen Unternehmer aber immer höhere Qualifikationen und eine höhere Bildung von Arbeitnehmern. Das Ergebnis: Trotz steigender Arbeitslosenzahlen bekommen Betriebe keine Fachkräfte mehr. Durch die Fremdenfeindlichkeit kommen auch keine Hochqualifizierten mehr aus dem Ausland. Aufgrund von fehlenden Fachkräften verlässt eine Firma nach der anderen das Land und mit ihnen gehen auch die jungen Leute. Was würde bleiben? Kultur, Tradition, Geschichte und viele alte Menschen. Boomende Bereiche am Arbeitsmarkt wären der Tourismus und die Pflege.
Um Szenarien wie diese von Kopf zu verhindern, lud der Verein Wirtschaft für Integration (VWFI) dieser Tage zum Österreichischen Integrationstag. 450 Personen aus Wirtschaft, Medien und Zivilgesellschaft waren aufgerufen, Strategien für ein "kulturell vielfältiges, mehrsprachiges und weltoffenes Österreich" zu entwickeln. Eine Zeitreise führte die Teilnehmer in das Jahr 2033. In jeweils drei Parallelworkshops zu den Themenbereichen Bildung und Arbeitsmarkt, Demokratie und Partizipation, sowie Zusammenleben und Zusammenhalt wurden Fragestellungen diskutiert, was etwa die Gesellschaft in Österreich in zwanzig Jahren zusammenhalten und welche Fragen das politisch-demokratische System aufwerfen werde oder welche Qualifikationen in einer hochmobilen und vielfältigen Gesellschaft nötig wären.
Veränderungsmotor
statt Konferenz
Georg Kraft-Kinz, stellvertretender Generaldirektor von Raiffeisen NÖ-Wien und Obmann des VWFI: "Der Integrationstag ist keine Konferenz, sondern ein Veränderungsmotor. Wir müssen uns alle aufrichten, um das Thema aufrichtig anzugehen." Sein Stellvertreter Ali Rahimi ergänzt: "Vielfalt ist wichtig für Österreich." Er verweist auf einen OECD-Bericht, wonach Österreich 11.000 Euro pro Jahr und Studierenden zahle. "Es kann nicht sein, dass diese dann weggehen, und man sie nicht halten kann."
Für ein positives Szenario müsste sich so einiges im Bildungsbereich ändern, betont der Wissenschafter Bernhard Perchinig. 153.000 Schüler sprechen eine Zweitsprache, aber nur 25.000 würden darin unterrichtet werden. Er fordert daher eine Verankerung von Mehrsprachigkeit im Schulsystem. Zudem dürfen einige Sprachen, wie etwa Englisch oder Französisch, nicht hierarchisch höher stehen, als etwa Türkisch oder Bosnisch/Kroatisch/
Serbisch. Konkrete Vorschläge, wie eine Verankerung gewährleistet werden soll - etwa ob man alle oder nur einzelne Erstsprachen fördert -, wurden von ihm nicht gemacht.
Ergebnisse nicht viel
mehr als heiße Luft?
Auch die Ergebnisse des Österreichischen Integrationstages gaben nur eine Richtung vor, ohne konkret zu werden. Man müsse das Wahlrecht ändern und eventuell an den Wohnort koppeln, heißt es etwa von den Teilnehmern des Demokratie-und-Partizipationsworkshops. Wie man das bewerkstelligen soll, erfuhr man hingegen nicht. Also nicht mehr als heiße Luft?
Mitnichten, entgegnet die Geschäftsführerin des VWFI, Meri Disoski. Für sie steht der Integrationstag am Anfang eines Prozesses, wo im nächsten Schritt die Ideen und Vorschläge der Workshops durch den VWFI, das Europaforum und dem Soziologen Kenan Güngör erst analysiert und zu klaren Empfehlungen verarbeitet werden. Danach würde man sich an die Regierungsmitglieder und den Bundespräsidenten wenden. Es sei wichtig, Synergieeffekte zu erzeugen, betont Disoski. "Und wir sehen uns als ein Sprachrohr von Wirtschaft und Zivilgesellschaft", sagt die Geschäftsführerin. Die Erfahrung des vergangenen Jahres mit den Ministern zeigte eine offene und interessierte Haltung der Politiker. Frauenministerin Heinisch-Hosek hätte etwa nach Anregung des letztjährigen Integrationstages ein Pilotprojekt zu anonymisierten Bewerbungen gestartet. Wie sehr hingegen das heurige Wahljahr die Offenheit der Politiker fördert, bleibt abzuwarten.