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Türkische Justiz holt zum letzten Schlag gegen Kurdenpartei aus

Von Martyna Czarnowska

Politik
HDP-Unterstützer protestieren immer wieder gegen Festnahmen.
© reuters / Murad Sezer

Generalstaatsanwalt setzt HDP mit verbotener Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gleich und beantragt ein Verbot der oppositionellen Fraktion.


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Die Vorwürfe sind ihr nicht neu. Die von Kurden dominierte Partei HDP wird immer wieder der Unterstützung für die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bezichtigt. Doch der türkische Generalstaatsanwalt ging noch einen Schritt weiter: Er setzte in seiner Anklageschrift die Fraktion, immerhin die zweitgrößte oppositionelle Gruppierung, mit der als Terrororganisation eingestuften PKK gleich. Er will die Partei verbieten lassen: Ein Antrag darauf ist beim Verfassungsgericht in Ankara gestellt.

Damit wird das staatliche Vorgehen gegen die HDP weiter verschärft - und der konservativen Regierungspartei AKP rund um Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kann das nur recht sein, nicht zuletzt wegen der Zustimmung, die die HDP in Teilen der Bevölkerung genießt. Noch erfreuter zeigte sich aber die Verbündete der AKP, die türkisch-nationalistische MHP: Ihr Vorsitzender Devlet Bahceli bezeichnete die oppositionelle Fraktion als "kriminelle Organisation", die nach ihrer Auflösung nie wieder neu entstehen solle.

Es wäre nämlich nicht das erste Mal, dass eine Partei in der Türkei sich nach ihrer Sperre unter einem anderen Namen neu gründet. Solche Verbote wurden in den vergangenen 40 Jahren fast zwei Dutzend mal ausgesprochen. Sie betrafen nicht nur kurdische Gruppierungen, sondern auch islamische - wie etwa die AKP selbst. Ob die HDP sich nach einem eventuellen Bann neu formieren könnte, ist freilich offen.

Denn Generalstaatsanwalt Bekir Sahin plädiert für eine politische Sperre hunderter HDP-Mitglieder. Er beschuldigt die Partei, die "Einheit des Staates" zerstören zu wollen, wie die Zeitung "Hürriyet Daily News" berichtet.

Europäer schrecken vor Sanktionen zurück

Dieser Vorwurf trifft viele kurdische Aktivisten und Oppositionelle, von denen etliche im Gefängnis sitzen. Dutzende gewählte HDP-Bürgermeister wurden abgesetzt, vor allem im mehrheitlich von Kurden bewohnten Südosten des Landes. Parlamentsabgeordneten wurden ihre Mandate entzogen. Erst am Mittwoch verlor Ömer Faruk Gergerlioglu seine Immunität wegen eines Urteils, dessen Hintergrund ein Tweet aus dem Jahr 2016 war. Wie viele andere wurde er wegen Terrorpropaganda zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Er wäre der 14. ihrer Volksvertreter, der hinter Gitter muss, zählt die HDP in einer Aussendung auf. 13 Ex-Mandatare der Gruppierung sitzen bereits im Gefängnis, darunter die früheren Parteivorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksedag.

Das Verbotsverfahren gegen die HDP löste Kritik beim Nato-Partner USA und in der EU aus. Dass Demokratie und Rechtsstaat in der Türkei untergraben werden, wird in Europa immer wieder betont. Auch befindet sich die EU im Zwist mit der Beitrittskandidatin um die Nutzung von Erdgasfeldern vor der Küste Zyperns.

Doch vor scharfen Sanktionen sind die Europäer bisher zurückgeschreckt. Immerhin sind sie auch daran interessiert, dass Ankara die Verpflichtungen aus dem Migrationsdeal einhält, der vor fünf Jahren geschlossen wurde und der Union bei der Sicherung der Außengrenzen helfen soll. Dennoch könnten die Staats- und EU-Regierungschefs bei ihrem Gipfel kommende Woche über ihre Haltung gegenüber der Türkei beraten. Auch schon am heutigen Freitag steht ein virtuelles Spitzentreffen an. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel sprechen mit Erdogan.