Atib wird zur stärksten Kraft in der Gemeinschaft. | Damit gewinnt türkischer Staat an Einfluss. | Wien. Nach fast einem halben Jahr finden die Wahlen in der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) langsam aber sicher ihr Ende. Schon im November durften die Kärntner Muslime ihre Gemeindeversammlungen wählen, diesen Sonntag findet die Wahl in Wien ihren Abschluss. Dabei zeichnet sich ab, dass die türkischen Muslime die dominierende Kraft in der IGGiÖ werden.
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Mehr als die Hälfte der Muslime in Österreich hat türkische Wurzeln. Bisher waren die Türken und türkischstämmigen Österreicher in der Glaubensgemeinschaft aber deutlich unterrepräsentiert. Das lag vor allem auch daran, dass der größte türkische Verein Atib (Türkisch islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit) bisher zu einer Mitarbeit in den Gremien der IGGiÖ nicht bereit war. Das hat sich mit der neuen Verfassung der Glaubensgemeinschaft, die seit Dezember 2009 in Kraft ist, geändert. Nun ist Atib nicht nur zur Mitarbeit bereit, sie wird auch die bestimmende Kraft in der IGGiÖ.
Bei den Wahlen zu den Gemeindeversammlungen in den Bundesländern (nur das Burgenland hat zu wenig registrierte Mitglieder, um zu wählen) konnte Atib 114 von 257 Sitzen erreichen. Gemeinsam mit den beiden anderen großen türkischen Dachvereinen kommt sie auf 70 Prozent der Sitze. Dass die türkische Community in den Gemeindeversammlungen damit überdurchschnittlich repräsentiert sein wird, erklärt sich dadurch, dass ihre Vereine, die die Moscheen betreiben, wesentlich besser organisiert sind als die der anderen muslimischen Gruppen. Lediglich die bosniakischen Vereine in Kärnten können da mithalten. Hingegen haben die arabischen Vereine dem Vernehmen nach bei der Mobilisierung ihrer Mitglieder ziemlich geschwächelt.
Der türkische Staat und Milli Görüs
Damit wird Atib künftig stärkste Kraft innerhalb der IGGiÖ, gefolgt von der ebenfalls türkischen Islamischen Föderation (AIF). Allerdings handelt es sich bei beiden Organisationen nicht bloß um einfache Dachverbände von Moscheevereinen.
Hinter Atib, die 1990 gegründet wurde und mittlerweile 59 Vereine umfasst, steht zum Beispiel das Diyanet Isleri Baskanligi (Präsidium für Religionsangelegenheiten), also niemand Geringerer als der türkische Staat. So sind denn auch alle Imame, die in den Atib-Moscheen predigen, Angestellte des türkischen Staates. Vorsitzender ist stets der Botschaftsrat in der türkischen Botschaft.
Diese Nähe zum eigentlich laizistischen Staat Türkei - tatsächlich gab es in der Türkei nie wirklich eine Trennung von Religion und Staat, sondern vielmehr eine starke Kontrolle der Religion durch den Staat - bringt Atib regelmäßig die Kritik ein, die Mitglieder gezielt türkisch-nationalistisch zu beeinflussen und damit einer Integration entgegenzuwirken. Auch wird kritisiert, dass die Imame, die meist direkt aus der Türkei entsandt werden, oft nicht der deutschen Sprache mächtig sind.
Hinter der zweiten großen türkischen Organisation, der Islamischen Föderation, steht ebenfalls eine Gruppe, die immer wieder für Kritik sorgt: Milli Görüs. In Deutschland etwa wird dieser Organisation Demokratiefeindlichkeit und Nähe zum gewalttätigen Islamismus vorgeworfen. In Österreich ist die AIF hingegen in dieser Richtung noch nicht auffällig geworden. Hierzulande gehören der AIF etwa 50 Vereine an. Die Föderation betreibt auch eigene Kindergärten und ein Gymnasium in Wien.
Verfassung beschränkt die Macht einer Ethnie
Bei der Wahl in Wien wird sich der Trend, dass die türkische Community an Einfluss in der IGGiÖ gewinnt, fortsetzen. Dass die türkischstämmigen Muslime aber nicht die Glaubensgemeinschaft gänzlich übernehmen, dafür sorgt die Verfassung der IGGiÖ. In den Organen - Ausschuss, Schurarat, Oberster Rat - darf eine ethnische Gruppe nämlich nicht mehr als die Hälfte aller Sitze einnehmen. Dennoch gilt als fix, dass der nächste Präsident der Glaubensgemeinschaft aus der türkischen Community kommt.
Der Weg bis dahin ist etwas kompliziert. Die Moscheevereine wählen ihre Delegierten in der Gemeindeversammlung (quasi die Landesvertretung der Muslime). Pro 50 registrierter und wahlberechtigter Mitglieder steht einer Moschee ein Vertreter zu. Wahlberechtigt ist, wer mindestens 14 Jahre alt ist und seinen Mitgliedsbeitrag von 40 Euro bezahlt hat.
Die Gemeindeversammlung wählt ihre Ausschussmitglieder und einen Teil der Mitglieder des Schurarats. Die übrigen Schuraratsmitglieder entsendet der Ausschuss. Der Schurarat wiederum wählt den Obersten Rat und aus diesem den Präsidenten.
Obwohl schätzungsweise 500.000 Muslime in Österreich leben und sich etwa ein Viertel davon hat registrieren lassen, werden nur rund 25.000 Muslime an der Wahl teilnehmen.