Erst fiel das Kopftuchverbot, nun will er auch getrennte Studentenwohnheime.
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Athen. (n-ost) Nach der Legalisierung des islamischen Kopftuchs im öffentlichen Dienst und der türkischen Nationalversammlung treibt Ministerpräsident Tayyip Erdogan seine religiöse Agenda weiter voran: Studentinnen und Studenten sollen nicht mehr unter einem Dach leben.
In der Provinz Denizli habe Erdogan selbst gesehen, dass junge Frauen und junge Männer gemeinsam in ein und demselben Studentenheim lebten. "Dies widerspricht unserem konservativen, demokratischen Charakter", soll er am Sonntag bei einer Sitzung mit hohen Funktionären seiner islamisch-konservativen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei in Ankara erklärt haben. Darüber berichteten die Zeitungen "Zaman" und "Hürriyet". Solche Zustände müssten überprüft werden, rügte Erdogan. "Weibliche und männliche Studenten dürfen nicht im selben Haus wohnen", unterstrich der Premier. Der Gouverneur von Denizli soll sich jetzt des Themas annehmen und für Abhilfe sorgen. Erst im August hatte ein Direktor in Trabzon an der Schwarzmeerküste Alarm geschlagen, weil Studentinnen und Studenten eines Wohnheims auf dem Weg zu ihren Zimmern dasselbe Treppenhaus benutzten.
Am Dienstag ging Erdogan in einer Rede vor seiner Parlamentsfraktion erneut auf das Thema ein. "Es ist unklar, was an diesen Orten (in den Wohnheimen, Anm. d. Red.) geschieht", sagte Erdogan. "Sie leben vermischt, alles könnte passieren. Wir als konservative, demokratische Regierung müssen intervenieren." Man sei bereits dabei, in den staatlichen Studentenheimen männliche und weibliche Bewohner zu trennen, erläuterte Erdogan. Der Staat dürfe aber auch nicht ignorieren, was in privaten Unterkünften vorgehe. Die örtlichen Gouverneure und Sicherheitskräfte seien bereits eingeschaltet. Erdogan berief sich auf "besorgte Mütter und Väter, die fragen, wo der Staat bleibt".
Viele weltlich gesinnte Türken kritisieren allerdings, Erdogan mische sich immer stärker in ihr Privatleben ein und versuche der Gesellschaft seine islamischen Wertvorstellungen aufzuzwingen. Als Beispiel werden die jüngst in Kraft getretenen strikten Beschränkungen beim Verkauf und Ausschank alkoholischer Getränke genannt. Auch bei der Familienplanung will Erdogan mitreden. Bereits seit mehreren Jahren fordert er die türkischen Frauen ständig dazu auf, mindestens drei Kinder zur Welt zu bringen, um eine Überalterung der Bevölkerung zu verhindern. Jetzt legte er die Latte noch höher: Drei Kinder reichten nicht, es müssten mindestens vier sein, forderte Erdogan im September in der Provinz Denizli. Schwangerschaftsabbruch gilt dem türkischen Premier als "Mord", den Kaiserschnitt lehnt er ab.
Schon als Bürgermeister von Istanbul experimentierte Erdogan Mitte der 1990er Jahre mit der Geschlechtertrennung: Er versuchte, getrennte Schulbusse für Mädchen und Buben sowie separate Badezonen einzuführen. Mit einer Verurteilung wegen islamistischer Hetze und dem Verbot der islamistischen Wohlfahrtspartei, der er angehörte, verlor Erdogan aber 1998 sein Bürgermeisteramt.
Kritiker klagen, Erdogan, der Absolvent einer islamischen Priesterschule ist, schwinge sich neben seiner Rolle als Regierungschef immer häufiger zu einer obersten moralischen Instanz auf. Er maße sich die Deutungshoheit in religiösen Fragen an, wie beim Kopftuchthema oder jetzt mit seinen Thesen zur Geschlechtertrennung unter Studenten. Säkulare Türken fühlen sich zunehmend ausgegrenzt - etwa als Erdogan den Einzug des islamischen Kopftuchs im Parlament mit den Worten kommentierte: "Der Wille des Volkes hat sich durchgesetzt." Die wachsende Wut vieler weltlich orientierter Türken über den als autoritär und selbstherrlich empfundenen Führungsstil Erdogans entlud sich im vergangenen Sommer in den wochenlangen, landesweiten Massenprotesten, an denen sich rund 2,5 Millionen Menschen beteiligten.