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Türkisches Oster-Roulette

Von Barbara Pusch

Gastkommentare
Barbara Pusch studierte an der Universität Wien Soziologie und eine Fächerkombination aus Turkologie, Arabistik, Ethnologie und Philosophie. In den vergangenen 24 Jahren lebte und arbeitete sie vor allem in Istanbul. Derzeit ist sie auch an der Helmut-Schmidt-Universität (Hamburg) tätig.

Recep Tayyip Erdogan und Konsorten haben sich im Referendum durchgesetzt - sie haben sich dabei aber selbst ein Ei gelegt.


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Während Europa fröhlich Ostereier suchte, versuchte sich die Türkei ein weiteres Mal in Sachen Demokratie. Die Befürworter des Präsidialsystems riefen dazu auf, für eine starke, neue Türkei mit Wohlstand, Stabilität und Demokratie zu stimmen. Ein Hohn für die Gegner des Regimewandels, denn was hat die Einführung eines Ein-Mann-Systems mit Demokratie zu tun?

Trotz Ausnahmezustands, Druck, einseitiger Berichterstattung und Manipulation haben (sogar offiziell) fast 49 Prozent dagegen gestimmt. Viele protestierten noch in der Nacht gegen die Wahlbehörde, die mit ihrer Entscheidung, nicht abgestempelte Wahlkarten mitzuzählen, wesentlich zum "Erfolgsergebnis" des "Ja"-Lagers beitrug. Von diesen 49 Prozent gingen einige auf die Straße, andere sorgten mit Töpfen und Pfannen in den Fenstern für die Begleitmusik. Dazu ertönte im Chor: "Dikkat, hrsz var!" ("Achtung, Diebe sind da!") Auch diese Form des Protests ist in der Türkei nicht neu. Gebracht haben Kundgebungen dieser Art jedoch noch nie etwas - auch diesmal werden sie bedeutungslos bleiben, genauso wie die angekündigte Wahlanfechtung der Opposition.

Dennoch sind diese 49 Prozent wichtig. Ihnen sollte auch unsere Solidarität gelten. Sie sind nicht nur der Spieleinsatz im Türkischen Roulette, sondern auch aktive Mitspieler. Mit dem Referendum wurde zwar der Übergang zum Präsidialsystem besiegelt, aber das Spiel ist noch lange nicht aus. Dazu war die Differenz zu knapp.

Wäre das Referendum mit einem knappen "Nein" ausgegangen, hätten natürlich viele aufgeatmet, aber auch das hätte nicht zu einem Spielende geführt. Das "Ja"-Lager hätte die "Nein"-Sager für die abstürzende Wirtschaft, die zunehmende Arbeitslosigkeit und alle anderen Probleme der Türkei verantwortlich gemacht. Der Demagoge an der Spitze des Landes, der mit Dekreten im Ausnahmezustand regiert, hätte die besten Bedingungen dafür schaffen können, die Stimmung zu kippen und seine Allmachtsfantasien in einem weiteren Anlauf durchzusetzen. Mit dem Ergebnis des Referendums werden Recep Tayyip Erdogan und Konsorten die Verantwortung für den Absturz der Nation jedoch selbst tragen müssen - und passend zum Ostersonntag haben sie sich selbst ein Ei gelegt: Denn bis dato konnte die AKP dank des türkischen Wahlsystems mit 40 Prozent die Macht halten, künftig wird sie 50 Prozent plus eine Stimme benötigen. In Anbetracht der Wirtschaftslage und der Wählerströme wird dies jedoch schwierig werden. Die AKP hat nämlich die Metropolen, die ägäische Küste, die Südküste und verschiedene industrielle Provinzen - also all jene, die von einer offenen, nach außen gerichteten Türkei profitieren - verloren. Dieser Trend wird sich gewiss fortsetzen. Aus diesem Grund ist das "Rien ne va plus" im türkischen Oster-Roulette noch nicht der letzte Satz. Es geht weiter, es bleibt heikel. Hoffentlich wird dies die österreichische und europäische Politik rasch verstehen - und sich zu einer entsprechenden Türkei-Politik durchringen. Die bisherige hat nämlich nur zur Stärkung des "Ja"-Lagers beigetragen, wie der enorm hohe "Ja"-Stimmenanteil der Auslandstürken zeigt.