Die Schwellenländer finden kein Rezept gegen den massiven Kapitalabfluss.
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Ankara. Was Premierminister Recep Tayyip Erdogan von ihm erwartete, konnte der türkische Notenbankchef Erdem Bacsi schon am Dienstagmorgen auf der Titelseite der regierungsnahen Zeitung "Yeni Safak" lesen. "Bleibt standhaft, erhöht nicht", stand dort in dicken Lettern. Es war der letzte von vielen Versuchen der türkischen Regierung, eine Anhebung des Leitzinses zu verhindern, wie schon zuvor begleitet von eindringlichen Warnungen vor einer ausländischen Zinslobby und dem Schreckgespenst eines massiven Konjunktureinbruchs.
Doch den Zorn des Premierministers dürfte Bacsi angesichts der in den vergangenen Wochen von Rekordtiefstand zu Rekordtiefstand eilenden Lira als das geringerer Übel erschienen sein. Im Rahmen einer Sondersitzung - der ersten seit mehr als zweieinhalb Jahren - hoben die türkischen Notenbanker am späten Dienstagabend den Leitzins mit einem Schlag von 4,5 Prozent auf 10 Prozent an. Mit einer Erhöhung war zwar allgemein gerechnet worden, in dieser Heftigkeit kam sie aber doch für fast alle Experten überraschend.
Auf den ersten Blick schien sich das eingegangene Risiko für Bacsi auch bezahlt gemacht zu haben. Die Lira stieg nach der spektakulären Zinsentscheidung im Vergleich zum Dollar um bis zu 7,1 Prozent und verzeichnete damit den größten Kurssprung seit fünf Jahren. Doch bereits im Laufe des Mittwochvormittags bröckelten die Gewinne wieder ab und die Lira lag am Schluss nur noch um 0,5 Prozent höher als am Vortag.
Ihre Gewinne nicht halten konnten auch andere Schwellenländer-Währungen, die durch das sukzessive Zurückfahren der ultralockeren Geldpolitik in den USA bereits in den vergangenen Wochen massiv unter Druck geraten waren. Denn viele Investoren, die angesichts niedriger Zinsen in den Industrieländern und in der Hoffnung auf eine attraktive Rendite viel Geld in Schwellenländern angelegt haben, hatten am Mittwochnachmittag bereits die für den Abend anberaumte Sitzung der US-Notenbank im Auge. Die Fed hat dann tatsächlich - wie vom Markt allgemein erwartet - ihr monatliches Anleihenkaufprogramm um weitere zehn Milliarden auf 65 Milliarden Dollar gekürzt. "Die Anleger wissen, dass die Probleme bleiben und die Zentralbanken gar nicht so stark intervenieren können, um den Abzug des Kapitals aus den Schwellenländern zu verhindern", sagte ein Händler. Auch die südafrikanische Nationalbank hatte nur wenige Stunden nach der türkischen erfolglos versucht, sich mit einer Zinserhöhung um einen halben Prozentpunkt mehr Luft zu verschaffen.
Sinkende Beschäftigung
Für die Türkei, die derzeit auch wegen des Korruptionsskandals im Umfeld der regierenden AKP und aufgrund der Nachwehen der Gezi-Park-Proteste mit einem deutlich spürbaren Vertrauensverlust internationaler Investoren zu kämpfen hat, könnte sich die radikale Leitzinserhöhung zudem als zweischneidiges Schwert erweisen. Denn höhere Zinsen machen es für ausländische Geldgeber zwar attraktiver, ihr Geld in der stark von fremdem Kapital abhängigen Türkei anzulegen. Doch gleichzeitig verteuern sich auch die Kredite, wodurch Investitionen und der private Konsum tendenziell gebremst werden.
Für die türkische Wirtschaft käme das zu einer Unzeit, denn Ökonomen gehen bereits seit mehreren Monaten von einem merklichen Konjunktureinbruch im Jahr 2014 aus. Die offiziell prognostizierten 3,6 Prozent Wachstum könnten demnach auf zwei bis drei Prozent zusammenschrumpfen. In diese Richtung weist auch schon die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen. Derzeit verzeichnet die Türkei, die seit dem Amtsantritt Erdogans im Jahr 2003 von einem wirtschaftlichen Superlativ zum nächsten geeilt war, das niedrigste Beschäftigungswachstum seit vier Jahren. Ebenso wenig Gutes verheißen die Zahlen zu Firmengründungen und -schließungen. Laut dem Dachverband der türkischen Handelskammer haben im Dezember 2013 um 130 Prozent mehr Firmen dichtgemacht als im Monat davor. Die Zahl der Neugründungen in diesem Zeitraum fiel um zehn Prozent.