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Turmbau zu Babel auf Wasser

Von Franz Zauner

Reflexionen
"The World Residences at Sea": Auf diesem Luxusschiff war Wolfgang Pusterhofer drei Jahre lang Projektleiter - ein Job, der ihn Tag und Nacht beschäftigte . . .
© wikimedia/No Swan So Fine

Schwimmende Träume zu verwirklichen ist sein Geschäft: Wolfgang Pusterhofer hat sich auf das Ausstatten luxuriöser Hochseeschiffe spezialisiert.


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Der große Sport fängt da an, wo er längst aufgehört hat, gesund zu sein. Das ist ein Zitat von Bert Brecht, aber es passt zu Wolfgang Pusterhofer. Der Projektmanager mag Sport.

Einmal, in einem hoffnungslos schwankenden Projekt, engagierte der Auftraggeber sogar den norwegischen Nationaltrainer für Skisprung. "Sport ist für mich ein Modell dafür, wie man durch’s Leben gehen kann. Natürlich haben Sportler eine andere Motivation, sie verdienen oft viel mehr Geld und bekommen Applaus, das wird man im Berufsleben so nicht finden."

Und dennoch, wenn der Mentor gut ist und den Sportsgeist erfolgreich beschwört, dann lassen sich auch krachende Unternehmungen noch retten. "Du hast nur eine realistische Chance, zu gewinnen, wenn jeder Spieler weiß, wo er stehen und was er tun soll."

 

Pusterhofer verwirklicht hauptberuflich Träume, und zwar kühne und luxuriöse. Seine Firma hat sich auf die Ausstattung großer, teurer und schöner Hochseeschiffe spezialisiert. Dafür braucht es vor allem Realismus. Pusterhofer ist mit Leib und Seele Realist, er strahlt Ruhe aus und Konzentration. Er ist einer, der gerne etwas erledigt. Das Erledigen ist sein Kerngeschäft, er hat sich ein Berufsleben lang damit beschäftigt.

Realist mit Leib & Seele

Wir stehen vor einer schmalen Wendeltreppe, wie man sie auf Schiffen zwischen den Decks findet. Sie sind meist aus schepperndem Blech gefertigt, und man würde sie achtlos hinauf- oder hinablaufen. Vor dem Treppenmodell, das im Schauraum seiner Firma steht, verharrt man mit offenem Mund. Es sieht aus wie ein Requisit für ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Der Handlauf ist aus Edelstahl gefertigt und elegant geschwungen, der Teppich, der über die Stufen läuft, mit Silberfäden durchwirkt. Hinter einer Wand aus gebogenem Glas schimmert ein zartes Golddrahtgeflecht.

Wer sich so etwas leisten kann, hat viel Geld. Und Leute mit Geld gibt es genug: Über 2000 Milliardäre verzeichnet die Forbes-Liste weltweit, und die Zahl der Millionäre beläuft sich auf über 16 Millionen. Wer wohlhabend ist, kauft sich ganz gerne einen schwimmenden Untersatz. Vermutlich stammen die Kunden aus dem Kreis der üblichen Verdächtigen: Texanische Ölmilliardäre, europäische Milliardenerben, superreiche Scheichs, russische Oligarchen und touristische Konsortien könnten darunter sein. Näheres erfährt man nicht, es gibt strikte Vertraulichkeitsvereinbarungen und keine Community, die sich auf den sozialen Medien austauscht und Likes vergibt.

Die Kundenwünsche sind so illuster wie der Kundenkreis: Einer möchte Ebenholz, der andere Marmor. Die Wohnträume sind aus empfindlichen, kostbaren und mitunter schwer zu bändigenden Materialien gemacht. Die sind nicht immer leicht aufzutreiben, und die Gesetze müssen strikt eingehalten werden. Manchmal muss Pusterhofer sagen: "Der Wunsch ist nicht erfüllbar." Denn "geht nicht", das gibt’s. Etwa, wenn die Legalität auf dem Spiel und die Holzart der Wahl auf einer roten Liste steht. "Wir sind in Europa, wir haben eine gewisse Verantwortung", sagt Pusterhofer.

Die Weisheiten, die Wolfgang Pusterhofer predigt, klingen im Zeitalter des Mehr und Sofort erstaunlich bescheiden: "Manchmal ist es gescheiter, weniger zu machen, das dafür aber ordentlich . . ."
© Zauner

Es gibt auch gefährliche Wünsche, die die Statik eines Schiffes durcheinanderbringen könnten. Zum Beispiel Einbauten aus kostbarem, aber schwerem Gestein wie Marmor. Zwar arbeitet Pusterhofer auch mit Marmor, der aus Steinbrüchen in Slowenien oder Sizilien kommt. So manchen tonnenschweren Block hat er persönlich ausgesucht. Und daraus soll dann zum Beispiel eine massive Badewanne gestemmt und geschliffen werden. Aber so eine Badewanne ist dann schwer wie ein Auto, das gilt es zu berücksichtigen. Meist ist es machbar, denn "die kleineren Schiffe, die wir ausstatten, haben eine Länge von 85 Meter".

Als Pusterhofer noch Projektmanager war, lebte er fast so abenteuerlich wie Indiana Jones. Jahrelang sauste er um den Globus, auf der Jagd nach Materialien oder zum Verhandeln mit Lieferanten. Er saß in den größten Flugzeugen und den schnellsten Hochgeschwindigkeitszügen.

Kaum angekommen, luden ihn Projektpartner schon zum Essen. Oder zu Ess-Wettbewerben, wo es etwa darum ging, wer die schärferen Speisen verträgt. Ein Tag mit 24 Stunden war da oft zu wenig. In seinen ärgsten Berufsjahren gab es in intensiven Projektphasen schon einmal 16 oder 20 Stunden währende Tage, und das mehrere Wochen hindurch: "Das zehrt brutal an der Substanz." Das hält man nur durch, wenn man intrinsisch motiviert ist, wie ein Künstler oder ein Abenteurer. Oder ein Sportler. "Das kannst du nur mit voller Hingabe machen. Der Lohn ist nicht nur das Geld, sondern auch und vor allem, dass man es geschafft hat."

Mehrere Flügepro Woche

Begonnen hat Pusterhofer als Tischler. Er arbeitete schon immer gerne im Ausland. Tagsüber arbeitete er, am Abend und des Nachts bildete er sich weiter. Er absolvierte die HTL für Möbelbau, machte später auch noch einen akademischen Abschluss in Projektmanagement. Und das alles neben der Arbeit.

Wenn er gefragt wurde, wie es ihm geht, war seine Standardantwort: "Momentan ist es ein bisschen stressig." Eine Bekannte sagte ihm: "Das sagst du seit zehn Jahren." In seinen ärgsten Zeiten gab es kaum noch Privatleben. "Das ist in der Tat reduziert, und man redet es sich schön." Es gab Monate, in denen er jede Woche mehrere Flüge hatte und nur ein paar Tage lang daheim war. Das Telefon wird dann zum wichtigsten Tool, um die Verbindung nach Hause zu halten.

Pusterhofer hat alles überstanden und rechtzeitig "Korrekturmaßnahmen eingeleitet, die Arbeit betreffend". Seine langjährige Ehe hielt, er hat einen Sohn. Mittlerweile ist er Fertigungsleiter und in einem vergleichsweise normalen Job. Der Betrieb ist modern, mit flachen Hierarchien und modernen Führungstools: Leitbild, Mitarbeitergespräch, Weiterbildung, Wertschätzung. Wenn man die Kollegen fragen würde, wie es ihnen geht, ohne Vorgesetzte in der Nähe, dann würden, glaubt Pusterhofer, die meisten sagen: Es ist lässig hier.

Die Konkurrenz ist international und stark, es besteht ein gewisses Risiko, aus dem Markt zu fallen, der sehr speziell ist. Verlässlichkeit, Verschwiegenheit und Seriosität sind wichtige Kriterien. Theoretisch ist auch ein "Berliner Flughafen" möglich. Denn man ist vom Projektumfeld abhängig, von den vielen anderen Firmen, die auf der Schiffswerft werken. Das ist ein nicht-kalkulierbares Risiko. Das hat er gleich bei seinem ersten Einsatz hautnah erlebt.

Zu Beginn der Jahrtausendwende trat Pusterhofer seinen Job an. Und wurde sogleich nach Norwegen geschickt. In einer Werft im hohen Norden wurde gerade eines der größten Luxusschiffe der Welt ausgestattet, die "World Residences at Sea". Es ist ein schwimmendes Apartmentschiff, eine motorisierte Insel mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten, von der man sich ein Stück kaufen kann. Wer auf dem 200 Meter langen Luxusschiff eine der 165 Wohnungen sein Eigen nennen möchte, sollte 30 Millionen Euro entbehren können, so überhaupt eine zum Verkauf steht. Die Grenze ist nach oben hin offen, dazu kommen Betriebskosten in anteiliger Höhe. Dafür wird auch einiges geboten: Gelegentlich werden Nobelpreisträger zum Vortrag eingeflogen.

"The World Residences at Sea" hat zwölf Decks, eine riesige Lobby, vier Restaurants, drei Bars, einen Zigarren- und einen Billardraum, Swimmingpools, ein Theater und eine Bücherei. Pusterhofer weiß es genau, er war als Projektleiter dort. Drei Jahre lang beschäftigte ihn dieses Schiff Tag und Nacht.

In Summe waren 1500 Leute aus aller Herren Länder und etwa 100 Firmen involviert, davon 300 Leute von seiner Firma. Das Problem war: "Wir müssen etwas bauen, wir wissen aber nicht genau wie. Es gibt unterschiedliche Mentalitäten, unterschiedliche Sprachen und viel Projektstress in einem engmaschigen Projektplan mit knapp gesetzten Zielen. Dass die Organisation von so vielen Arbeitskräften aus aller Herren Länder Probleme macht, lag auf der Hand." Etwas weniger sachlich gestimmt, könnte man von Chaos pur sprechen.

Choreographie mit hunderten Mitarbeitern

Der Termindruck war mörderisch. Firmen gingen pleite, Arbeiter erhielten plötzlich kein Geld mehr und wollten abreisen. Wäre es dazu gekommen, würde das Luxusschiff vielleicht auch heute noch nicht auf hoher See schwimmen - ein Projektabbruch lag in der eisigen Luft. Pönale wären schlagend geworden, Existenzen bedroht: "Und das alles im hohen Norden, wo es besonders im Winter unglaublich finster werden kann."

Es war Pusterhofers Feuertaufe. Bei jedem Projekt braucht es eine Person vor Ort, die sich die kühnen Träume als Folge von tausenden kleinen, bewältigbaren Schritten denkt und Dutzende Firmen und oft hunderte Mitarbeiter in eine Choreografie bewegt, die im Zeitraffer faszinierend wirkt, die einem vor Ort, wenn Zeitpläne platzen, Lieferungen ausbleiben oder menschliche Krisen ausbrechen, aber oft auf quälende Weise zeitlupenhaft erscheint.

"Die Monteure haben Stunden gemacht, die kann man gar nicht beziffern." Die Organisation war schlecht, ebenso die Abstimmung zwischen den vielen Firmen. Man kann es sich wie den Turmbau zu Babel vorstellen, den man auch als Projektmanagement-Studie lesen kann. Eine schreckliche Sprachverwirrung ergriff die Baustelle. Am Ende begannen Monteure zu streiken, sie waren wütend und enttäuscht. Manche hatten schon seit Monaten ihre Familien nicht mehr gesehen. Pusterhofer schaffte es, "das Ganze zu drehen", mit seiner ruhigen, aber bestimmten Art Vertrauen aufzubauen, Perspektiven zu entwickeln. Das war seine wichtigste Lektion: Kommunikation ist alles. Er machte die Probleme der anderen zu seinen eigenen. Es ist nicht nur ein Spruch, sondern Pusterhofers tiefste Überzeugung: "Der Mensch ist der wichtigste Faktor, er ist nicht nur eine Ressource. Wenn man ein heikles Projekt Revue passieren lässt, dann ist es nur dem Team zu verdanken, dass es erfolgreich geworden ist."

Man muss dieselbe Sprache sprechen. Man muss die Ziele klar definieren, immer wieder. Das besagt eine der Grundregeln des Projektmanagements, aber das sagt sich so leicht. Denn Ziele, die gerade noch klar und erreichbar schienen, werden gerade in komplexen Projekten rasch wieder unklar. Eine Lieferung bleibt aus, eine Arbeit dauert lang und länger. Dann hantelt sich der Projektmanager von Tag zu Tag, und sein Weg ist nicht mehr so wie erdacht, er entsteht beim Gehen.

Innehalten und Nachdenken ist dabei, meint Pusterhofer, eine gute Strategie: "Man kann nur dann zu klaren Zielen kommen, wenn man sich mit der Materie intensiv auseinandersetzt. Die größte Schwierigkeit ist immer, schonungslos zu sehen, was wirklich los ist."

Die Kollegen blieben im Boot. Sie vertrauten Pusterhofer, darauf ist er heute noch stolz. Und er enttäuschte sie nicht. In diesemChaos hat er viel gelernt. Die Weisheiten, die er predigt, klingen im Zeitalter des Mehr und Sofort erstaunlich bescheiden: "Manchmal ist es gescheiter, weniger zu machen, das dafür aber ordentlich. Besonders in großen Projekten musst du dir bei jeder Arbeit die Frage stellen: Ist das jetzt wichtig und dringend?"

Gut im Plan liegt man in der Regel, wenn man 60 bis 70 Prozent dessen, was man sich vorgenommen hat und was im Projektplan vermerkt ist, an einem Tag auch einhalten kann. Wieso nicht hundert Prozent? "Hundert Prozent erreicht man nie."

Mittlerweile hat sich auch diese Arbeitswelt geändert, Chaos ist einfach zu riskant. Ein Teil von Pusterhofers Aufgabe besteht auch darin, Kollegen zu bremsen: "Achtung, das ist zu viel." Das Musketier-Prinzip, das herausragende Leistungen möglich macht, ist auf Dauer unpassend und schädlich.

Nein-Sagen als eine der wichtigsten Tugenden

Was kann er Kollegen raten, die in Turbo-Verhältnissen arbeiten? Das Nein-Sagen hält Pusterhofer für eine der wichtigsten Tugenden im Projektmanagement. "Lastspitzen entstehen, wenn man nicht rechtzeitig die Möglichkeiten, die man hat, von sich bringt. Das Wichtigste ist, in Krisen zumindest kurz stehenzubleiben und sich die Frage zu stellen, wie es zu schaffen ist: Mit Verstärkung, mit einem gewaltigen persönlichen Einsatz, oder ist es einfach nicht zu schaffen? Dann ist es nötig, Nein zu sagen und die Vorgesetzten mit der unangenehmen Wahrheit zu konfrontieren. Nein sagen gehört aber nicht zur österreichischen Mentalität."

Das hier zu lesende Porträt ist auch in dem Buch "Working pur" der drei Autoren (und Journalisten) Uwe Mauch, Wolfgang Freitag und Franz Zauner enthalten, einer Sammlung von Reportagen aus der gegenwärtigen Arbeitswelt, die deren radikale Veränderung anschaulich zeigen. (ÖGB Verlag, Wien 2018, 260 Seiten).

Franz Zauner, geboren 1959, ist Leiter der Online-Redaktion und stv. Chefredakteur der "Wiener Zeitung".