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Turmförmige schwarze Löcher

Von Christina Böck

9/11

Scheu vor einem lockeren Umgang mit dem Trauma - noch immer. | Vor allem Comics haben sich dem Thema ausgiebig gewidmet.


Die erste Reaktion nach den Anschlägen war schon eine zukunftsweisende. In einer geschlossenen Schockhandlung wurden die WTC-Türme erstmal aus allem getilgt. Aus Filmen, aus TV-Serien, sogar Songs, die nur im Entferntesten an die erlebte Katastrophe erinnerten (Sinatras "New York"!) durften nicht mehr gespielt werden. Am spektakulärsten in Erinnerung bleibt wohl das Bild jenes "Spiderman"-Trailers, der der Psychohygiene-Zensur zum Opfer fiel: Ein Hubschrauber, der im Spinnennetz zwischen den Zwillingstürmen des World Trade Centers baumelt.

All das war den Menschen, also den Amerikanern, damals nicht zumutbar. Cartoonist Art Spiegelman gestaltete in jenen Tagen ein Cover für den "New Yorker". Es zeigte zwei schwarze Türme auf ein bisschen weniger schwarzem Hintergrund. Turmförmige schwarze Löcher - das blieb die Tragödie 9/11 auch für Amerikas ureigenste Kulturform, die Popkultur. Es gibt kaum ein Thema, vor dem sie so zurückscheut, wie dieses nationale Trauma.

Sarkasmus ist unerwünscht

Nicht die Comic-Zeichner. Die waren sogar sehr schnell mit ihrer kreativen Antwort. So kapitulierte etwa Spiderman nur wenige Wochen nach den Anschlägen vor den realen Schurken. Zu Jahrestagen von 9/11 gibt es regelmäßig Sonderausgaben, bei denen Superhelden die Helden von Polizei und Feuerwehr in die Mitte nehmen. So auch zum zehnten Jahrestag am Sonntag: Da werden 93 Comicstrips in den Zeitungen an die Attacken erinnern, unter anderem Hägar der Schreckliche. Frank Miller, Star-Comiczeichner, wird rund um den Gedenktag einen neuen Band veröffentlichen. Er heißt "Holy Terror" und erzählt von einem Maskierten, der die USA vor der Al-Kaida schützt. Im neuen Band der Reihe "Savage Dragon" wäre der auch nötig, da feiert Osama bin Laden eine Auferstehung als radioaktives Monster. Ein solcher nachgerade augenzwinkernder Umgang mit dem Thema ist eine Rarität. Wenn sich etwa die Werbeindustrie erdreistet, zwei rauchende Zigaretten als Türme aufzustellen und dazu zu schreiben: "5,4 Millionen sterben an Gründen, die auf das Rauchen zurückzuführen sind. Das ist 2000 Mal 9/11", dann geht ein empörter Aufschrei nicht nur durch die Blogosphäre.

Das ist wohl auch der Grund für die Scheu der Popmusik vor dem Thema. Wohl inspirierte das Gemeinschaftsgefühl direkt nach den Anschlägen zu ungeahntem Pathos, vor allem am Country-Sektor. Bruce Springsteen machte "die" Platte zum Ereignis, sie hieß "The Rising". Neil Young veröffentlichte eine Single, die die berühmten Worte "Let’s roll" zum Titel hatte. Einige Jahre danach änderte er seine Meinung und spielte das Antikriegs-Album "Living with War" ein. Leonard Cohen nahm als einer der wenigen selbstkritische Worte in den Mund - im Song "On that day" singt er "Some people say it’s what we deserve." Um sich an den Feind heranzuwagen, brauchte es erst mal einen Rapper: Eminem trat im Video zu "Without me" 2002 als alberne Osama-bin-Laden-Version auf. Meist jedoch verlegt man sich auf - billige - Kritik an der Bush-Regierung - das fand sogar im Kommerzpop Eingang (etwa Pink, "Dear Mr. President"). Für differenziertere Reflexion muss britischer Rock von Bloc Party herhalten, die in "Hunting for Witches" 2007 die Angstpolitik der Medien anprangerten.

Zumindest auf eine fixe Größe des schlechten Geschmacks ist Verlass: Die Macher der Serie "South Park" haben sich in mehreren Folgen explizit mit dem 11. September 2001 auseinandergesetzt, unter anderem in einer, in der ungebührliches Verhalten in einem Pissoir einer ähnlichen Verschwörung zugeschrieben wird wie 9/11. Apropos Konspiration: Von den "Simpsons", auch so einer heiligen Kuh der Popkultur, gab es nie eine 9/11-Episode. Dafür spielen sie eine Rolle bei Verschwörungstheoretikern. Denn in einer Folge, die Jahre vor den Anschlägen gedreht wurde, hält Bart einen Prospekt, in dem ein Neuner und zwei Türme ein verhängnisvolles Datum bilden...