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"Tut’s was, Leute!"

Von Thomas Seifert

Politik

Lenzing AG-CEO Doboczky fordert mehr Einsatz für den Klimaschutz und spricht sich für CO2-Steuern aus.


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Wien. "Wir wollen, dass in Sachen Klimaschutz etwas weitergeht": Lenzing AG-Vorstandsvorsitzender Stefan Doboczky klingt beinahe wie ein Umweltaktivist: Er ist für Kohlendioxid-Steuer und drängt die internationale Politik, mehr für Nachhaltigkeit zu tun. Der Rohstoff für die Lenzing AG ist Holz, daher sieht er sein Unternehmen in dieser Hinsicht gut aufgestellt.

"Wiener Zeitung": Sie waren eben beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Was haben Sie von dort mitgenommen?

Stefan Doboczky: Dass eines der für mich zentralen Themen - Klimawandel - auch in den Schweizer Bergen ganz oben auf der Agenda stand. 80 CEOs von Top-Unternehmen weltweit haben für den Katovice-Klimagipfel einen Brief unterzeichnet. Darin haben wir die Politik aufgefordert, dass es eine globale Lösung für dieses für unseren Planeten zentrale Thema braucht. In unserem Schreiben haben wir die Politik aufgefordert: "Tut’s was, Leute!" Damit wir die 2030-Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen, müssen wir alle - und damit meine ich nicht nur die Industrie - besser werden und uns steigern. Viele aus dieser Gruppe sind in Davos wieder zusammengesessen - da waren die größten der Großen aller Branchen dabei - und wir haben uns gefragt: Wo stehen wir in dieser Frage? Wir waren absolut einig: Wir alle wollen, dass da was weitergeht.

Und wir haben uns auch die Frage gestellt: Welche Ziele setzen wir uns als Unternehmen und warten nicht darauf, bis uns die Politik Vorgaben macht. Die Probleme, die wir jetzt als Unternehmenslenker adressieren müssen, das sind genau die Probleme, mit denen sich unsere Kinder und Kindeskinder herumschlagen werden müssen. Wir haben jetzt noch rund 700 Tage Zeit bis zum Ende des Jahres 2020. Wenn wir bis dahin nicht endlich anfangen, wirklich ernste Maßnahmen zu ergreifen, dann ist es zu spät. Die gute Nachricht: Wir können es immer noch schaffen, die Erderwärmung bei einer Temperaturerhöhung von 1,5°C zu stabilisieren. Aber es wird jeden Tag, den wir zuwarten, schwieriger, diese wichtige Verteidigungslinie für das Weltklima zu halten.

Halten Sie eine CO2-Steuer für zielführend?

Ja. Die Welt braucht eine Carbon-Tax. Davon bin ich überzeugt. Wir müssen steuerlich immer mehr in Richtung Ressourcenbesteuerung gehen und gleichzeitig den Faktor Arbeit entlasten. Das macht Arbeit billiger und Ressourcenvergeudung und Klimabelastung teurer. Der Planet hat in vielen Bereichen ein Problem und Kohlendioxid ist sicher mit das brennendste derzeit.

Sie klingen in diesem Gespräch beinahe wie ein Umwelt-Aktivist. Ist diese Botschaft nicht ungewöhnlich für einen Industrie-CEO?

Ich möchte die Industrie wachrütteln. Wir haben eine Verantwortung, wenn es um den Klimawandel geht, wir haben eine Verantwortung, wenn es darum geht, zu beeinflussen, wie Konsumenten heute Kaufentscheidungen treffen. Wir als Lenzing wollen die Verantwortung aber nicht an die Spinnereien, denen wir unsere Produkte liefern, oder an die Modemarken und Konsumenten abschieben. Wir als Industrie müssen sicherstellen, dass wir in jenen Bereichen, auf die wir Einfluss haben, diese Verantwortung auch wahrnehmen.

Wie wollen Sie das schaffen?

Unser Rohstoff ist Holz. Wir kaufen dieses Holz - ein erneuerbarer Rohstoff - aus nachhaltigen Quellen ein und stellen damit Fasern her, die zu 70 Prozent zu Textilien und zu 30 Prozent für industrielle Anwendungen verarbeitet werden. Unser Produkt voll kompostierbar.

Aber es werden ja in der Textilindustrie nach wie vor viele Kunstfasern verwendet, die aus Erdölprodukten hergestellt werden.

Das stimmt. Die gesamte Faserindustrie - das sind rund 100 Millionen Tonnen neue Fasern pro Jahr - basiert zu zwei Dritteln auf Erdöl. 70 Prozent dieser Fasern werden für die Textilindustrie verwendet. Alles, was man damit assoziiert, Mikroplastik, Müllproblem etc., wird von diesen erdölbasierten Kunstfasern verursacht. Das letzte Drittel wird aus Baumwolle oder holzbasierten Fasern, wie wir sie herstellen, produziert. Baumwolle verursacht ebenfalls Probleme: Die Pflanze hat einen enormen Wasserbedarf, drei Prozent des globalen Wasserverbrauchs kommt von Baumwollplantagen. In Baumwollplantagen werden auch relativ viele Pestizide eingesetzt. Wenn man sich diese Fakten vor Augen führt, dann ist sehr leicht argumentierbar, dass der Baum als Faserrohstoff enorm viel Potenzial hat.

Und wie steht es um den Holzbedarf?

In Österreich haben wir ein Netto-Wachstum an Wald. Für unser Geschäftsmodell ist enorm wichtig, dass man sich intensiv mit Forstwirtschaft auseinandersetzt. Man hat in einigen Teilen der Welt Praktiken, die nicht nachhaltig sind. Unser Holz kommt aber aus Österreich, Deutschland und aus dem Umfeld von Österreich - nicht zuletzt machen kurze Transportwege Sinn. In Österreich wird der Wald hervorragend gemanagt, die Forstwirtschaft, die in unserem Land betrieben wird, ist nachhaltig. In anderen Teilen der Welt ist das nicht so, daher sind für uns Zertifizierungen enorm wichtig. Unser Geschäft wird wachsen, davon bin ich überzeugt. Allerdings will ich nicht behaupten, dass man jede Faser durch Zellstoff ersetzen kann. Lenzing bringt es im gesamten Fasermarkt vielleicht auf ein Prozent, im holzbasierten Fasermarkt vielleicht auf 15 Prozent. Aber: Bei den hochwertigsten Fasern, bei den Spezialitäten, da liegt unser Marktanteil bei deutlich über 50 Prozent.

Welchen Stellenwert messen Konsumenten der Nachhaltigkeit zu?

Kaufentscheidungen werden auf der Basis von Funktionalität, Preis und Marke getroffen. Wobei die Marke eine Vielzahl von Emotionen transportiert. Cellulosefasern werden aus Holz gewonnen, sind aus einem natürlichen, nachwachsenden Rohstoff und wecken sicher positive Emotionen beim Konsumenten. Unsere Fasern werden von Top-Marken eingesetzt. Und sie nehmen Wasser auf, was einen angenehmen Tragekomfort ergibt. Solange der Endkonsument in Richtung billig, billig, billig ging, folgte die Textilindustrie dieser Richtung. Ich glaube, dass den meisten Konsumenten klar ist: Wenn die Welt in ihrer jetzigen Schönheit erhalten werden soll, muss bei der Quantität des Konsums umgedacht werden. Wir glauben, dass es möglich ist, in unserem Geschäft zu wachsen, wenn die Menschen verantwortungsvoll konsumieren.

Wie schätzen Sie die derzeitige Wirtschaftslage ein?

Wir sehen definitiv eine Abkühlung der Weltwirtschaft und es ist noch nicht klar, wie weit die derzeitigen geopolitischen Spannungen das Vertrauen der Konsumenten unterminieren. Gleichzeitig haben wir bei bestimmten Assetklassen eine gewisse Blasenbildung, weil einfach so viel Liquidität im Markt ist. Die große Herausforderung ist nun, die Signale zu erkennen: Wann kommt der Dämpfer? Dazu muss uns klar sein: Die meisten Volkswirtschaften haben derzeit viel eingeschränktere finanzpolitische Instrumente, um gegenzusteuern.

Positiv ist: Viele Unternehmen - darunter die Lenzing AG - sind sehr gut aufgestellt, was deren Innovationskraft, Wettbewerbsfähigkeit und deren Bilanz betrifft. Bei Unternehmen, die Merger & Aquisition getrieben sind, sieht es vielleicht nicht so gut aus, aber jene, die ein solides Geschäftsmodell und keine hohe Verschuldungsrate haben, brauchen keine Sorgen vor der Zukunft zu haben. Die Lenzing AG hat fast 60 Prozent Eigenkapitalquote, einen minimalen Verschuldungsgrad und ambitionierte Wachstumspläne. Unsere größte Herausforderung: Wie können wir mehr Kapazitäten in den Markt bringen? 2018 war jedenfalls ein sehr gutes Jahr, 2019 wird ein herausforderndes Jahr. Aber: Wir sind gut vorbereitet und stehen gut da.