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TV-Realität

Von Francesco Campagner

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Die Welt der Bilder ist eine trügerische. Seit Tagen sah man in den verschiedensten TV-Programmen Bill Clinton in unterschiedlichen Posen · immer wieder Monica Lewinsky umarmend, seine

Frau anhimmelnd, die US-Nation um Verzeihung bittend, mit den Größen der Weltpolitik plaudernd · um dann am Montag den aufbrausend-zerknirschten Präsidenten zu erwarten. Doch die vierstündige TV-Show

bot nicht das, was Kommentatoren aller Welt vorher versprachen. Eigentlich genau das Gegenteil. Clinton, am Wochenende noch von allen Experten für politisch tot erklärt, ist nun lebendiger denn je.

Das Medium Fernsehen machte es möglich. Das gleiche Medium, das die Karriere des "comeback kid" beenden sollte. Doch die TV-Realität ist immer anders. Nicht nur Fußballschiedsrichter können davon ein

Lied singen.

Die Causa Clinton·Lewinsky gleitet vorläufig in ruhigere Gewässer ab, das TV-Geschehen konzentriert sich · wie auch ein "Report spezial" am Mittwochabend in ORF 2 zu sehen war · nun ganz auf die

Wahlen in Deutschland. Und genauso wie bei Clinton wirkte auch in diesem Fall das Medium Fernsehen anders, als gemeinhin angenommen. Der deutsche Kanzler, dessen gemütlich-ruhige Konturen der Zuseher

seit mehr als zwei Jahrzehnten immer wieder sieht, mutierte durch die Bilder, die ihn beim Vorgehen gegen Eier werfende Demonstranten zeigen, zur elanvollen, dynamischen Person. Vom Ende einer Ära

war im Fernsehen noch nichts zu spüren.