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Zivilisten im Rebellengebiet sprechen von einem "Terrorregime".
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Rutshuru. Auf Twitter attackieren sie Kritiker: Journalisten und UN-Ermittler. Auf Facebook posten sie YouTube-Videos (die finale Schlacht des Comicfilms "König der Löwen"). Auf Internet-Blogs veröffentlichen sie Fotos von Opfern angeblicher UN-Bomben. Pressesprecher Vianney Kazarama klingelt morgens um 6 Uhr Journalisten aus dem Bett, um einen "Massaker-Schauplatz" zu zeigen. Die Öffentlichkeitsarbeit der ostkongolesischen M23-Rebellen (Bewegung des 23. März) läuft auf Hochtouren.
M23-Anführer Oberst Sultani Makenga selbst gibt sich medienscheu. Immerhin: Für die M23-Facebook-Webseite posiert er kurz für ein Foto. Hinter ihm im Tal liegen im Abendrot die glitzernden Häuserdächer von Bunagana, der strategischen Grenzstadt im Dreiländereck zwischen Ostkongo, Uganda und Ruanda - ein Symbol der Stärke der jüngsten Rebellenarmee des Kongo.
Anfang Juli begann die M23, aus ihren Basen in den Vulkanbergen an der Grenze in die ostkongolesische Provinz Nord-Kivu vorzudringen, und Kongos Regierung gerät mit jeder Woche stärker in die Defensive.
Um diesen Krieg zu verstehen, sind die Biografien und persönlichen Motive der M23-Offiziere wichtig. In Gesprächen mit Makengas engsten Gefährten wird deutlich: Sie gehören einer jungen, globalisierten und gebildeten Generation an. Die meisten sprechen neben Französisch, Kisuaheli, Lingala und Kinyarwanda fließend Englisch, sogar mit Oxford-Akzent. Auf ihren Smartphones spielen sie Gospelmusik und zeigen die Fotos ihrer Freundinnen. Sie kommunizieren gerne via G-Chat. Sie haben an internationalen Universitäten Jura oder Business-Management studiert.
Zugleich aber sind sie gestandene Krieger. Die meisten begannen 1996-97 als Kindersoldaten mit Laurent-Désiré Kabilas Rebellenallianz AFDL (Allianz der Demokratischen Kräfte zur Befreiung von Kongo-Zaire), die in einem Blitzkrieg das damalige Zaire eroberte und Diktator Mobutu Sese Seko stürzte. Für all diese Männer ist der derzeitige Präsident und Sohn des 2001 ermordeten Laurent-Désiré Kabila, Joseph Kabila, eine "Witzfigur", die sie stürzen wollen.
M23-Führung besteht aus ehemaligen Rebellen
Die M23-Führung setzt sich hauptsächlich aus Offizieren der ehemaligen Rebellenarmee CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes) zusammen, die unter Führung von Tutsi-General Laurent Nkunda 2006 bis 2009 in Nord-Kivu kämpfte und sich dann nach einem Friedensvertrag mit rund 6000 Kämpfern in die Armee integrierte. Der damalige CNDP-Führer Bosco Ntaganda diente danach als General der Regierungsarmee.
Doch dieser Frieden hielt nur drei Jahre. Am 11. April 2012 kündigte Präsident Kabila in einer öffentlichen Rede in Goma an, man denke darüber nach, Bosco Ntaganda verhaften zu lassen. Der Internationale Strafgerichtshof sucht ihn wegen mutmaßlicher früherer Rekrutierung von Kindersoldaten. Daraufhin zog sich Ntaganda mit seinen Truppen auf seine Farm in Mushaki in den Masisi-Bergen zurück. Es folgten weitere Deserteure. Anfang Mai konstituierten sich die Meuterer als M23, benannt nach dem Friedensvertrag vom 23. März 2009, dessen Nichtumsetzung sie anprangern.
Die M23 gibt sich ähnlich wie früher die CNDP als "Rebellion des Volkes". In Reden und Radio-Ansprachen kritisieren sie Korruption, schlechte Regierungsführung, permanente Unsicherheit und Kongos dysfunktionalen Staat. Mit diesen Argumenten trifft die M23 zwar die derzeitige Stimmung im Land - doch Kämpfe bedeuten für die Menschen in den Kriegsgebieten stets Vertreibung, Krankheit, Traumatisierung oder Tod. Zivilisten im M23-Territorium sprechen hinter vorgehaltener Hand von einem "Terrorregime".
Dass man für eine "Revolution" im Kongo nicht mehr nach Kinshasa marschieren muss wie 1997, weiß die M23. Sie hat derzeit ihr Hauptquartier in einem Hotel in der Stadt Rutshuru aufgeschlagen. Täglich rufen dort weitere Anführer lokaler ethnischer Milizen an oder Regierungsoffiziere, die überlaufen wollen. So wird die Liste der Mitglieder der "Koalition der bewaffneten Gruppen" mit der M23 täglich länger. Diese Koalition dient der M23 nicht nur in Sachen Kampfstärke, sondern auch in der Wahrnehmung. Als Nachfolgeorganisation des CNDP stehen die Rebellen im Ruf, reine Tutsi-Interessen zu verfolgen. Je mehr andere Milizen sich mit ihnen verbünden, desto breiter ihre Basis. Die Koalition der Milizen hat zwar kein gemeinsames Kommando und keine gemeinsamen Truppen, aber ein gemeinsames Ziel: flickenteppichartig den Ostkongo erobern.
Ein sehnsüchtiges Seufzen geht durch den Speiseraum des Hotels, als Fotos des ehemaligen CNDP-Anführers Laurent Nkunda auf dem Bildschirm aufblitzen - das Fotoarchiv eines ehemaligen Nkunda-Leibwächters. Der einstige CNDP-Chef, der in Ruanda im Hausarrest sitzt, wird von seinen alten Kampfgefährten verehrt.
Uneinigkeit unter denalten Weggefährten
Die M23 ist nämlich nicht so einig, wie es aussieht. In vielen Berichten ist zu lesen, der abtrünnige Ntaganda sei ihr Anführer - dabei ist es Sultani Makenga, ein alter Rivale Ntagandas. Ntaganda hatte 2009 Nkunda als CNDP-Chef gestürzt, Frieden mit Kongos Regierung geschlossen und hingenommen, dass Ruandas Armee Nkunda festnimmt, während er selbst als General mächtig und reich wurde. Makenga, der als Oberst in Süd-Kivu stationiert war, gilt hingegen als Nkunda-treu.
"Er schadet unserem Ansehen", sagen M23-Offiziere jetzt, wenn man sie nach Ntaganda fragt. Er befinde sich nicht im M23-Oberkommando, sondern verstecke sich mit rund 100 seiner Anhänger im Dschungel im Virunga-Nationalpark. Mehrfach habe die M23 Suchtrupps in den Wald geschickt, um Ntaganda zu fassen. Weil einige seiner Vertrauten in der M23 dienen, erfahre er das immer rechtzeitig. Die M23 sagt, sie würde Ntaganda übergeben, entweder an Den Haag oder an Kongos Regierung. Ihn publikumswirksam aus dem Weg zu räumen, würde das Ansehen der M23 gewaltig aufpolieren.
Das kann sie brauchen, denn die jüngsten Berichte, wonach die M23 von Ruanda und auch Uganda unterstützt wird, haben sie in ein schlechtes Licht gerückt. Kongos Regierung kann dadurch sagen, die Rebellion sei eine reine Marionette des Auslands, und die Probleme leugnen, die die Rebellen zur Legitimation ihres Kampfes angeben.