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Über 30.000 Betriebe wurden liquidiert oder zwangsenteignet

Von Martyna Czarnowska

Politik

Es war keine leichte Aufgabe, mit der die Historikerkommission 1998 betraut wurde. Immerhin galt es den gesamten Komplex der "Arisierungen" und Rückstellungen in Österreich zu durchleuchten. Nun ist der nächste Teilbericht fertig - zur Rekonstruktion von Rückstellungsverfahren von vorwiegend jüdischem Eigentum, das in der NS-Zeit zwangsenteignet wurde.


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Dutzende Personen saßen am Tisch, als Anfang der Woche in Wien die Verhandlungen um die Entschädigung von NS-"Arisierungs"-Opfern fortgesetzt wurden. Die weitgehende Einigung, die dabei erzielt wurde, veranlasst auch jüdische Organisationen zur Hoffnung auf "einen fairen Abschluss" der Restitutionsverhandlungen in Washington.

Zigtausende Menschen und ihre Schicksale stehen im Hintergrund der Gespräche. Die Mehrheit der österreichischen Juden hat nach 1938 das Land für immer verlassen, ein Drittel ist unter dem NS-Regime ermordet worden. Die von Nationalsozialisten durchgeführten "Arisierungen" waren ein brutaler "Raub- und Mordzug", wie es die Zeithistorikerin Erika Weinzierl in einem Fernsehinterview ausdrückte. Für die meisten Überlebenden hätten sie zum Verlust von Beruf, Wohnung und Heimat geführt.

Das Mandat der Historikerkommission, deren Einsetzung am 1. Oktober 1998 im Ministerrat zur Kenntnis gebracht wurde, lautete: Den gesamten Komplex "Vermögensentzug auf dem Gebiet der Republik Österreich während der NS-Zeit sowie Rückstellungen bzw. Entschädigungen (sowie wirtschaftliche und soziale Leistungen) der Republik Österreich ab 1945" zu erforschen und darüber zu berichten. Das Gesamtprojekt "Arisierungen" war dabei in verschiedene Teilprojekte unterteilt. So wurde Ende Oktober 2000 der Bericht zur "Arisierung" und Rückstellung von Wohnungen in Wien präsentiert. Nun liegt ein weiteres Papier vor - der Zwischenbericht über die Rekonstruktion von Rückstellungsverfahren von in der NS-Zeit zwangsenteignetem vorwiegend jüdischem Eigentum in Österrreich. Die damit beauftragte ForscherInnengruppe hat ihn der Historikerkommission zugestellt; die Freigabe erfolgt allerdings erst nach der Beurteilung durch die Kommission.

Nach Angaben des Innsbrucker Geschichtswissenschafters Wolfgang Meixner wurden unmittelbar nach dem "Anschluss" an das Deutsche Reich geschätzte 36.000 Betriebe in Österreich "arisiert", darunter 1.000 Industriebetriebe. Der Wert der enteigneten Vermögen soll mehr als zwei Milliarden Reichsmark betragen haben, enteignete Wohnungen und deren Mobiliar nicht mitgerechnet. In Tirol waren 74 Unternehmen betroffen. Drei Industriebetriebe bestehen - in anderer Rechts- bzw. Eigentümerform - noch heute: die "Zellulosefabrik Wörgl AG", die "Jenbacher Berg- und Hüttenwerke von Julius & Theodor Reitlinger" und das "Metallwerk Plansee".

Die Historikerkommission hingegen ging zu Beginn von etwa 33.000 als "jüdisch" qualifizierten Betrieben aus. Ein Fünftel davon wurde bereits im Verlauf des "Anschlusses" aufgelöst oder zerstört. Mehr als 80 Prozent der restlichen rund 26.000 Betriebe und Geschäfte wurden liquidiert, vor allem im Handels-, Handwerks- und Privatbankenbereich. Eine eigentliche "Arisierung" fand in etwa 5.000 Fällen statt. Näheres ist dem Bericht zu entnehmen - nach seiner Veröffentlichung.