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Griechen-Rettung und Euro-Schirm auf dem Prüfstand. | Experten: Keine Deckung der Hilfen in EU-Verträgen.
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Karlsruhe/Wien. Nicht einmal von den Klägern wird ein Paukenschlag erwartet. Heute, Mittwoch, entscheidet das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die bisherigen Euro-Rettungshilfen. An ein radikales Nein - also ein Zurück-zum-Start - wird nicht geglaubt. "Wenn ein solches Urteil herauskäme, dann säßen im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts lauter Helden", gibt sich auch einer der Kläger, der Tübinger Ökonom Joachim Starbatty, als Realist. Wozu also die Klage? Um den "finanzpolitischen Leichtsinn" zu bremsen.
Die Klage sollte ein Schuss vor den Bug werden. Beobachter gehen davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht dafür der deutschen Bundesregierung künftig schärfere Regeln für das Abnicken weiterer Rettungsmaßnahmen auferlegen wird - und etwa den Bundestag stärker einzubinden hat.
Eigentum, Wahlrecht und EU-Vertrag geprüft
Konkret geht es in der Klage um die Ermächtigungsgesetze für die Hilfen. Die deutschen Bürgschaften für Griechenland belaufen sich auf 22,4 Milliarden Euro und die Beteiligung am ersten Euro-Rettungsschirm auf 123 Milliarden Euro (plus eines Risikozuschlags von 20 Prozent).
Diese Bürgschaften verletzten das Grundrecht auf Eigentum, "da es aufgrund der Maßnahmen zu einer verstärkten Inflation kommen könnte", erklärt die Sprecherin des Karlsruher Gerichts, Judit Blum. Zudem beeinträchtigen die Maßnahmen das in Artikel 38 des deutschen Grundgesetzes verankerte Wahlrecht, wonach die vom Volk gewählten Abgeordneten des Bundestags an keine Weisungen gebunden sind und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Hier werden vor allem die Verletzung des Demokratieprinzips und der Haushaltsautonomie angeführt: Die 123 Milliarden Euro, für die der deutsche Steuerzahler einstehen müsste, entsprächen fast der Hälfte des Gesamthaushalts von 2009 und würden im Krisenfall die Haushaltsplanungen des Bundestags extrem belasten - und damit nach Ansicht der Beschwerdeführer das Wahlrecht aushebeln: Die Volksvertreter könnten in den Haushaltsdebatten kaum noch Politik mitgestalten, wenn keine Gelder mehr zum Verteilen vorhanden sind. Der Vorsitzende des entscheidenden Senats, Andreas Voßkuhle, hatte erklärt, dass das Gericht möglicherweise das Parlament vor sich selbst schützen müsse. Also vor der Fraktionsdisziplin.
Außerdem wird einmal mehr angeführt, dass die Rettungshilfen nicht in den EU-Verträgen gedeckt sind. Schließlich hieß es in den Gründungsverträgen, dass kein Land für ein anderes haften müsse.
Dass so eine Klage gerade in Deutschland eingereicht worden ist, liegt einerseits daran, dass Deutschland aufgrund seiner Größe den Löwenanteil an den Euro-Hilfen tragen muss, andererseits an einer Besonderheit des deutschen Verfassungsrechts.
Verfassungsklage ist in Österreich schwieriger
Denn viele Staatsrechtler sehen die Euro-Hilfen als problematisch an, doch die Wege, die Hilfen vor ein Verfassungsgericht zu bringen, sind versperrt. "Das deutsche Recht ist wesentlich großzügiger als das österreichische", meint etwa der österreichische Verfassungsprofessor Heinz Mayer im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". In Österreich sei es ungleich schwieriger, als Einzelner an den Verfassungsgerichtshof heranzutreten. Es müsste sich entweder um einen Bescheid handeln, oder, sollte man gegen ein Gesetz vorgehen wollen, müsste man unmittelbar und direkt betroffen sein. "Gesetze anzufechten ist kaum möglich", so Mayer. Doch wenn man es in Österreich schaffen würde, zum Verfassungsgerichtshof durchzukommen, würden auch in Österreich die Euro-Hilfen wackeln. "Ich sehe jedenfalls keine Rechtsgrundlage für den Rettungsschirm", meint Mayer.
Aufstockung des Schirms wackelt
Karlsruhe könnte deshalb wie bereits im sogenannten Lissabon-Urteil zum europäischen Einigungsprozess eine weitere Stärkung der parlamentarischen Mitwirkungsrechte anordnen.
Wie weit diese Rechte in Hinblick auf die geplante Ausweitung des EFSF-Rettungsfonds reichen werden, und ob der Bundestag - ähnlich wie bei Einsätzen der Bundeswehr - künftig in jedem einzelnen Krisenfall der Mittelvergabe zustimmen muss, wird in Berlin mit Spannung erwartet: Schon am Donnerstagvormittag wird das neue Gesetz über die Vergrößerung des EFSF-Rettungsschirms im Bundestag debattiert. Die Deutschen bürgen dann für 211 statt bisher 123 Milliarden Euro, falls ihre Volksvertreter zustimmen. Bei der Probeabstimmung unter den Abgeordneten der Regierungsfraktionen gab es nur eine wackelige Mehrheit. Jedoch haben die Oppositionsparteien SPD und Grüne ihre Zustimmung signalisiert.