Man sollte sich nicht an alles gewöhnen, auch nicht an brennende Pkw.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Einerseits ist es ja so, dass es durchaus Länder gibt, hochentwickelte und im Allgemeinen recht friedliche noch dazu, in denen das zielgerichtete Abbrennen unliebsamer Autos ein in gewissen Kreisen politisch akzeptiertes Verfahren darstellt, der eigenen Meinung Ausdruck zu verleihen.
In Berlin etwa wurden im Jahr 2016 insgesamt 372 Autos angezündet. Das entspricht einer Verdoppelung der Zahlen zum Vorjahr. Die Polizei geht bei 116 Angriffen von einem politischen Hintergrund aus, bei 14 werden Rechtsextreme als Täter vermutet, bei 37 Linksextreme.
Andererseits ist es nun einmal so, dass man sich nicht an alles gewöhnen sollte. Vor allem nicht an Gewalt als Form des politischen Ausdrucks.
In Wien Währing wurde vor einigen Tagen spätnachts das Auto von Martin Sellner, des Sprechers der schwer rechten Identitären Bewegung in Österreich, abgefackelt. Die Polizei schließt einen politischen Hintergrund der Tat nicht aus, weshalb das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismus ermittelt.
Die Aufregung über die Tat hielt sich in Grenzen; naheliegenderweise empörten sich die Identitäten und Ihresgleichen, während ganz weit links die Schadenfreude überwog. Der große Raum der politischen Mitte dazwischen hat es vorgezogen, das Ereignis mit Schweigen zu kommentieren.
Allerdings geht es hier um Politik, und wie die Menschen im richtigen Leben können auch Politiker nicht nicht kommunizieren, weshalb jedes Verhalten seine ganz eigene Botschaft in sich trägt: Schweigen, weil das Vorgefallene nicht wichtig genug ist, um es eines Kommentars zu würdigen. Schweigen, weil man es nicht verurteilen will. Schweigen, weil man es nicht noch weiter aufwerten will. Schweigen, weil man es wirklich nicht mitbekommen hat; man hat ja noch andere Interessen, selbst wenn man Politiker im Hauptberuf ist. Und schließlich steht ja noch gar zweifelsfrei fest, dass tatsächlich politische Motive hinter dem Brandanschlag auf den Pkw des Identitären-Chefs standen.
Bis in die jüngste Vergangenheit waren Deutsche und Österreicher nicht nur durch die gemeinsame Sprache getrennt, sondern auch durch erstaunliche Unterschiede in der politischen Kultur.
In Österreich gelten rhetorische Tabubrüche seit Jahrzehnten lediglich als Kavaliersdelikte, die irgendwie zu einer kernigen politischen Auseinandersetzung dazugehören. Solche Sprüche würden deutschen Politikern Kopf und Karriere kosten. Im Gegenzug lebt Deutschland mit gewaltbereiten politischen Rändern, die als Rechtsextreme gegen Fremde und als Linksextreme gegen den Staat wüten.
Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag hat sich Deutschland in Sachen politischer Rhetorik den tieferen heimischen Standards angenähert. Das Spiel mit sprachlichen Tabus wird nun auch in Berlin medial groß inszeniert. Bleibt die Frage, ob sich Österreich im Gegenzug an die Rückkehr der physischen Gewalt als Nischenform der politischen Auseinandersetzung gewöhnen muss? Ein klein wenig mehr Empörung wäre irgendwie nett gewesen, zumal damit ja längst kein Unbedenklichkeitsausweis an Herrn Sellner ausgestellt wird.