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Die Gräben, die es nicht gibt, sind keine Einbahnstraße.
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Eine Woche danach hat ein ganzes, hyperventilierendes Land noch nicht zu seinem Normal-Rhythmus zurück gefunden. Kein Wunder, nach so einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung, wie es diese Bundespräsidentenwahl war. Denn das zumindest haben alle: teilgenommen an der Aufregung. So oder so.
Weshalb die Nachwehen dieses kollektiven Aufgewühlt-Seins sich auch an der Frage festmachen: Ist das Land gespalten oder nicht? Die neue Devise lautet: Nein, das Land ist nicht gespalten. Aber die Gräben dieser Nicht-Spaltung, die sollen jetzt zugeschüttet werden.
Deshalb sollte man noch einmal auf einen Unterschied hinweisen. Polarisierung ist eine Erhitzung im Austausch von Argumenten. Spaltung aber bedeutet, dass es keinen Austausch mehr gibt. Die Wahlen waren wochenlang das beherrschende Thema. Jeder hat darüber geredet. Aber war es deshalb ein Gespräch? War es nicht: entweder Gespräch zwischen Gleichgesinnten oder Abbruch des Gesprächs? Wie tauscht man sich mit jenen aus, die gar keinen Austausch wollen? Vielleicht ist das Land ja gespalten zwischen jenen, die einen Austausch wollen, und jenen, die keinen Austausch wollen - zwischen jenen, die eine Diskussion wollen, und jenen, die nur Behauptungen wollen. Vielleicht auch sich behaupten?
"Offensichtlich fühlen sich viele Menschen in diesem Land nicht gesehen und nicht gehört", meinte Alexander Van der Bellen nach der Wahl. Und Thomas Seifert meinte, es habe sich "ein eifersüchtiges Buhlen um Aufmerksamkeit breitgemacht". Es geht also um ein Vorkommen-Wollen, um ein Gehört-Werden-Wollen - das ist ein sehr spezielles Bedürfnis nach Teilhabe. Geht es dabei um reale Teilhabe? Anders gefragt: Geht es dabei um die Realität oder um die Teilhabe? Das ist gar keine so absurde Frage. Wollen die Leute mitreden, mitentscheiden - oder wollen sie vorkommen, anerkannt werden? Denn Teilhabe hat ja nicht nur eine objektive, sondern auch eine subjektive Wirklichkeit: eben das Gefühl gehört zu werden, sich gemeint fühlen.
Man muss verstehen, dass allein das Gefühl, zu partizipieren, das Gefühl, teilzuhaben, kein Defizit ist. Man sollte das nicht von vornherein abtun: Augenauswischerei. Nur das Gefühl! Das ist keine reale Partizipation! Ist es doch. Denn damit dieses Gefühl überhaupt aufkommen kann, muss es ja einen Ort geben, muss ja ein Terrain geben, auf dem dieses Gefühl überhaupt entstehen kann: Es muss einen Resonanzraum geben, in dem man gehört wird. Das ist genau der Punkt. Das entscheidende Kriterium fürs Gehört- und Gesehen-Werden ist, dass diese Teilhabe einer eigenen Realität bedarf: Sie muss, um gefühlt zu werden, einen Platz haben. Einen Platz, wo Leute reden können. In den Parteien. In Bürgerforen. Wo auch immer. Nicht nur an den Stammtischen der Gleichgesinnten. Es geht um ein öffentliches Reden. Auch um ein Kontroversielles.
Nur ist dies keine Therapie. Auch wenn es so klingen mag. Es ist keine "talking cure". Bei einer solchen spricht nur einer - und der andere auf der Couch hört nur zu. Das ist gut für die Psychoanalyse. Nicht aber für die Politik. Hier gilt: zurück zuhören! Denn die Gräben, die es nicht gibt, sind keine Einbahnstraße.