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Über das Wetter reden

Von Christian Hoffmann

Reflexionen

Von den Engländern kann man lernen, dass es kaum ein besseres Thema für Small Talk gibt als das Wetter. Ein solches Gespräch wird umso schöner, je feiner man es mit Fachausdrücken würzen kann. Einige Tipps für den kommenden Sommer.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Szene wir mir unvergesslich bleiben. An einem stürmischen Tag im Juni stehe ich im strömenden Regen am Kai des Städtchens Mylor an der Südküste von Cornwall, draußen, im Ärmelkanal, tobt der Sturm mit neun Windstärken. Da spricht mich am Kai ein alter Herr an. "Was für ein Tiefdruckgebiet!", sagte er zur Begrüßung. "War nicht die Rede von 965?"

Das war natürlich britischer Wettersmalltalk der allerfeinsten Sorte, aus dem sich ein langes, wunderbares Gespräch über das Leben im Allgemeinen ergab, über verschiedene Höhen und Tiefen, die mein Gegenüber im Laufe von Jahrzehnten erlebt hatte. Mit der Zahl 965 war der Luftdruck im Zentrum des Tiefdruckgebietes gemeint, gemessen in Hektopascal. Tatsächlich hieß es im Wetterbericht von BBC damals, dass dieses Tiefdruckgebiet die schwersten Junistürme seit hundert Jahren gebracht hatte.

Nun, man muss nicht gleich jedes Tiefdruckgebiet so intim studieren wie mein Freund in Mylor, um etwas von den Vorgängen in der Atmosphäre mitzubekommen. Der legendäre Siegfried Schöpfer, deutscher Meteorologe der sechziger Jahre, empfiehlt einen Blick ins Weinglas, wobei darin Weißwein sein muss, wie er den deutschen Biertrinkern einschärft, da dieser im Unterschied zum Rotwein kühl serviert wird. Und er schreibt: "Obwohl das Glas trocken war, wird es kurz nach dem Einschenken außen nass. Diese Feuchte muss also irgendwie aus der Luft gekommen sein."

Damit ist elegant zu einem der wichtigsten Phänomene der Wetterkunde übergeleitet: der Temperatur. Je wärmer die Luft der Erdatmosphäre ist, desto mehr Feuchtigkeit kann sie binden, die sie beim Abkühlen wieder abgibt. Deswegen kann man im Frühling, wenn die Nächte noch kühl sind, bei einem Morgenspaziergang über eine Wiese feststellen, dass das Gras feucht ist, obwohl es nicht geregnet hat.

Mit der Temperatur verändert sich auch das Gewicht der Luft. Jeder, der einmal ein Lagerfeuer entzündet oder einen Grill angeheizt, weiß, dass die warme Luft über der Flamme aufsteigt und in einiger Entfernung abgekühlt wieder absinkt. Etwas Ähnliches geschieht im Sommer bei ruhigem Wetter am Ufer eines Sees, wenn die Sonne die Landmasse erwärmt, wodurch erwärmte Luft aufsteigt und in der Seebrise kühlere vom Wasser her nachströmt.

Das Aufkommen der Seebrise um die Mittagszeit an einem schönen Sommertag wird von einem kleinräumigen, sehr schwachen Tiefdruckgebiet verursacht. Dort, wo erwärmte Luft aufsteigt, lässt der Luftdruck nach (ohne natürlich gleich auf den dramatischen Tiefstand von 965 Hektopascal zu fallen, der meinen Bekannten in Mylor in solche Aufregung versetzt hat), dort wo die kühle Luft absinkt, steigt der Druck. Aus diesem Grund ist die Erde auch am Äquator von Tiefdruckgebieten umgeben, während an den Polen hartnäckige Hochdruckgebiete sitzen.

An der Front

Für wirklichen Gesprächsstoff unter Europäern sorgen jedoch die Ereignisse zwischen dem Äquator und den Polen, genauer zwischen dem 40 und dem 60 nördlichsten Breitengrad. Auf offener See treffen im Atlantik warme Luftmassen aus dem Süden und kalte Luftmassen aus dem Norden zusammen. Die Tiefdruckwirbel, die dabei entstehen, ziehen dank der Drehung der Erdkugel ostwärts und bestimmen je nach Konstellation das Wetter in Europa.

Zur Vorbereitung auf eine gelungene Konversation über das Wetter sind Isobaren-Karten äußerst hilfreich. Darin werden Orte gleichen Luftdrucks durch Linien verbunden, vergleichbar den Höhenlinien in einer Wanderkarte. Dabei entsteht eine Struktur, die die Verteilung und von Hoch- und Tiefdruckgebieten sichtbar macht. Wenn man sich mit ein wenig Phantasie die Bewegung dieser wetteraktiven Zentren in Richtung Osten vorstellt, dann hat man bereits eine grobe Vorstellung von der weiteren Entwicklung des lokale Wetters.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang eine Entdeckung, die der norwegische Physiker Vilhelm Bjerknes in der Zeit des Ersten Weltkriegs machte. Er stellte nämlich damals an seinem Institut in Bergen die Hypothese auf, dass sich die Luft tendenziell in kompakten Massen weiterbewegt. Das heißt, dass sich in der Atmosphäre Gebiete kalter und warmer Luft gegenüberstehen, die für das Wetter bestimmend sind. Angesichts der kriegerischen Ereignisse jener Tage verwendete er das Wort "Front", um jene wetteraktiven Zonen zu bezeichnen, in denen einander kalte und warme Luftmassen begegnen, ein Ereignis, dass sich im Leben des Durchschnittsmenschen durch Regen, Gewitter und Veränderung der Windverhältnisse bemerkbar macht.

Bjerknes, der vor knapp hundert Jahren seine Entdeckungen machte, hätte sich natürlich kaum träumen lassen, welchen Blick auf Hoch- und Tiefdruckgebiete sowie die Bewegung von Fronten moderne Satelliten möglich machen. Die österreichischen Zentralanstalt für Meteorologie fasst im Internet sogar Satellitenbilder zu Animationen zusammen, die einen spannenden Einblick in die Dynamik der Erdatmosphäre geben.

Es gibt natürlich auch Leute, für die es beim Gespräch über das Wetter um mehr als um Small Talk geht. Wer zum Beispiel mit einem Boot auf das Meer hinaus will, der findet Detailinformationen in dem Standardwerk "Das Wetter von morgen" von Dieter Barnetzki. Alle, die in ihrem Urlaub gerne lange Wanderungen unternehmen, werden von Siegfried Schöpfers "Wie wird das Wetter?" viel profitieren, einem Standardwerk aus den sechziger Jahren, das von Jörg Kachelmann überarbeitet erst unlängst neu aufgelegt und erweitert wurde. Dass Koautor Kachelmann derzeit wegen des Verdachts auf Vergewaltigung in Untersuchungshaft sitzt (es gilt die Unschuldsvermutung), steht natürlich wieder auf einem ganz anderen Blatt und hat keinen Einfluss auf das Wetter von morgen.

Info

www.zamg.ac.at

Die Seite der österreichischen Zentralanstalt für Meteorologie mit ausgezeichneter Animation des Satellitenbildes.

www.austrocontrol.at

Internet-Präsenz der österreichischen Flugsicherung mit einer frei zugänglichen allgemeinen Prognose.

www.wetterzentrale.de

Eine Vielzahl an Karten und Prognosemodellen, unter anderem auch Wetterkarten der US Air Force für den Flugbetrieb.

Jörg Kachelmann/Siegfried Schöpfer: Wie wird das Wetter? Eine leicht verständliche Einführung für jedermann. Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2007, 190 Seiten, 8,50 EuroDieter Karnetzki: Das Wetter von morgen. Praxis für den Yachtsport. Delius Klasing Verlag, 2001, 215 Seiten, 19,50 Euro