Österreich soll im Jahr 2050 energieautark sein. Ist das überhaupt möglich? Beim Thema Atomstrom missbrauchen einzelne Politiker die verständliche Emotionalität der Bevölkerung.
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In Österreich sind Regierungsklausuren oft gefährliche Drohungen; etwa der zuletzt dort gefasste Beschuss, Österreich bis zum Jahr 2050 energieautark zu machen. Zuerst einmal zum Begriff Energieautarkie. Sollte damit nur gemeint sein, dass Österreich im Verlaufe jedes Jahres etwa gleich viel Energie importiert, wie es exportiert, ist dies eine ökonomisch nicht begründbare Forderung. Ausgeglichene Handelsbilanzen bei einzelnen Gütergruppen zu forcieren bedeutet nämlich, auf die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung zu verzichten.
Sollte mit Energieautarkie gemeint sein, ab dem Jahr 2050 überhaupt keine Energie mehr zu importieren, käme das wohl einem wirtschaftlichen Selbstmord gleich, weil Erdöl und vor allem Erdgas auch in 40 Jahren trotz des Ausbaus erneuerbarer Energien unverzichtbar sein werden, zumindest an bewölkten und windstillen Tagen.
Höchstwahrscheinlich reduziert sich die angestrebte Energieautarkie also auf die populistische Forderung nach Eliminierung der Importe von Atomstrom. Das bedeutet letztendlich überhaupt keine Stromimporte mehr, da man "Atomstrombeimischungen" leider nicht mittels Geigerzählern messen kann. Dann müssten das österreichische Stromangebot und die Stromnachfrage in jeder Sekunde über das gesamte Bundesgebiet hinweg ausgeglichen sein. (Vielleicht schlägt auch der Föderalismus zu und fordert Energieautarkie für jedes Bundesland?) Enorme und sehr teure Überkapazitäten an CO2-emittierenden Kraftwerken wären die Folge.
Es ist beschämend, feststellen zu müssen, dass einzelne Spitzenpolitiker grob fahrlässig die verständliche Emotionalität der Bevölkerung gegenüber der Atomenergie missbrauchen und noch immer nicht in Europa angekommen sind. Dort wird nämlich - durchaus unter Beteiligung Österreichs - an einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik gearbeitet, die allein langfristig eine relativ kostengünstige und sichere Energieversorgung garantieren kann. Die Strategie beinhaltet natürlich eine deutliche Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energieträger, aber ohne Autarkie-
fantasien.
Eckpunkte sind:
* die Diversifikation der Bezugsquellen und Transportwege für importierte Energie;
* Kosteneffizienz bei erneuerbaren Energien durch Konzentration der Solaranlagen im Süden und der Windanlagen im Norden;
* Ausbau des transeuropäischen Stromübertragungsnetzes;
* forcierte Energieforschung und Entwicklung neuer Technologien;
* Reduktion des Energieverbrauchs.
Gab es da nicht vor allzu langer Zeit in Österreich eine Werbeaktion mit dem Titel "Über den Tellerrand schauen"? Aber wir müssen wohl warten, bis die österreichischen Energiepreise im europäischen Vergleich explodieren und energieintensive Unternehmen auswandern, damit die "Wutbürger" aufwachen.
Erhard Fürst war viele Jahre Leiter der Abteilung Wirtschaft und Industriepolitik in der Industriellenvereinigung.