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Sollen sich Politiker direkt um Bürgeranliegen kümmern oder nur Strukturen schaffen? Über die komplizierte Dreiecksbeziehung zwischen Bürgern, Staat und Parteien.
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Die Aufgabe der Politik ist es, sich um die Anliegen der Menschen zu kümmern." Laura Sachslehner, Generalsekretärin der ÖVP, hat diesen Satz in mehreren Abwandlungen in den vergangenen Wochen immer wieder getrommelt, auch in der "Wiener Zeitung". Die Aussage ist eine Antwort auf die Korruptionsvorwürfe, denen sich die ÖVP ausgesetzt sieht und die derzeit in einem U-Ausschuss auch parlamentarisch behandelt werden.
Dabei geht es nicht nur um strafrechtliche Ermittlungen, die zum Rücktritt von Sebastian Kurz und seinen Vertrauten geführt haben, sondern auch um Chats, die Parteibuchwirtschaft, Postenschacher und Interventionen nahelegen. Oder, in der Darstellung der ÖVP, einfach nur zeigen, dass sich die Volkspartei der Bürgeranliegen annimmt. Auch beim Parteitag in Graz, wo Karl Nehammer mit 100 Prozent zum Obmann gekürt wurde, war diese Deutung präsent.
Aber ist dieses "Kümmern" überhaupt die Aufgabe von Parteien und ihren Funktionären? Dass es, nach wie vor, ein weitverbreiteter Anspruch vieler sein könnte, lässt sich unter anderem aus dem Ergebnis der Gemeinderatswahl in Graz herauslesen. Die KPÖ betreibt dort seit Jahren ein Bürgerbüro und half vielen Menschen in Mietangelegenheiten. Im Vorjahr wurde sie dann zur stärksten Kraft gewählt. Dieses Engagement, diese Bürgernähe wurden offenkundig honoriert. Doch, erstens, nicht alle Hilfestellungen sind gleich zu bewerten. Und, zweitens: Diese Bewertung hat sich im Lauf der Zeit doch stark geändert.
Ein guter Startpunkt für eine Themenreise durch die Zweite Republik ist dabei der 24. Februar 1977. An diesem Tag beschloss der Nationalrat, nach Jahren zäher Verhandlungen, die Installierung der Volksanwaltschaft. Der damalige ÖVP-Abgeordnete Heinrich Neisser sprach von "rechtlichem und politischem Neuland". Sämtliche Redner der drei damals im Nationalrat vertretenen Parteien strichen die historische Bedeutung dieses Tages hervor.
Volksanwaltschaft als Meilenstein
Uneinig waren sich die Fraktionen nur in der berühmten "Wer hat’s erfunden?"-Frage. Die Sozialdemokratie reklamierte die Idee für sich, da etwa Schweden, wo Olof Palme Ministerpräsident war, schon Jahre davor Ombudsstellen eingerichtet hatte. Die ÖVP wiederum wies die Urheberschaft "Wissenschaftlern und Richtergremien" zu und verwies auch auf Hans Kelsen, den Vater der Bundesverfassung, der mutmaßlich bereits 1929 laut an einen Ombudsmann gedacht haben soll. Die Freiheitlichen brachten ihren ehemaligen Mandatar Emil van Tongel ins Rennen, der als erster Politiker mutmaßlich einer Volksanwaltschaft das Wort redete.
Mit der Gründung der Volksanwaltschaft trat die Dreiecksbeziehung zwischen Bürger, Staat und Parteien jedenfalls in eine neue Phase, zumindest institutionell. Denn zu diesem Zeitpunkt, Mitte der 1970er, hatte sich gesellschaftlich bereits viel verändert. War die Erste Republik noch durchdrungen von einem Obrigkeitsdenken josephinischer Prägung, erwuchs in der Bevölkerung nach 1945 allmählich, spätestens aber in den 60er-Jahren, ein anderer Anspruch an die Verwaltung.
Als Zilk zum Ombundsmann wurde

Was einst Franz Kafka in einigen Werken beschrieben hatte, diese geradezu vakuumisierte Bürokratie, die dem Bürger keinen Zugang gewährte, außer vielleicht jenen auf Knien rutschend, griffen an jenem 24. Februar 1977 auch die Mandatare auf, wenngleich literarisch weniger wertvoll. SPÖ-Abgeordneter Heinz Fischer bediente sich des Bildes einer "Maschinerie", bei der man immer der Schwächere sein werde. "Dem kleinen David Staatsbürger soll gegen den großen Goliath Verwaltung eine Schleuder in die Hand gegeben werden", sagte Fischer. Stephan Koren von der ÖVP machte sogar ein "Angstverhältnis" geltend: Der Einzelne stünde dem "Riesenpolyp Verwaltung" gegenüber und müsse sich "klein, arm und hoffnungslos vorkommen". Die Volksanwaltschaft sollte dies ändern.
Die heimische Politik war damals eher spät dran. Nicht nur, dass andere Länder längst Anlaufstellen für Bürger installiert hatten, waren auch die Medien auf den Zug der Zeit aufgesprungen und hatten ihrerseits Ombudsmänner installiert, um Menschen zu helfen, die unter anderem Schwierigkeiten mit einer Behörde hatten. Der spätere Wiener Bürgermeister Helmut Zilk erfüllte dies zum Beispiel für die "Kronen Zeitung".
Es ist denkbar, dass der schwierige Kompromiss zwischen SPÖ, ÖVP und FPÖ dadurch befördert wurde. Denn die Zeitungen betraten damit auch Terrain der Parteien. "Sie hatten ja auch eine Patronagefunktion", sagt der Historiker und Generaldirektor des Staatsarchivs, Helmut Wohnout. "Die Parteien haben sich als Ansprechpartner verstanden und auch begonnen, Bürgerservicestellen einzurichten." Dazu gab es ein dichtes Netz an Vorfeldorganisationen der Parteien bis hin zum Kegelverein. Es war selten ein Problem, geeignete Adressaten für eine Nachfrage oder gar eine Bitte zu finden.
Aus den Wortmeldungen damals im Nationalrat geht hervor, dass die Wertschätzung dieses neuen und beliebten Leserservices der Medien unter den Mandataren endenwollend war. Die Unzulänglichkeiten der Ombudsleute wurden hervorgestrichen, die angeblich viel besseren Möglichkeiten der Volksanwaltschaft betont. Es gab aber sicher auch einen angenehmen Nebeneffekt: Die drei mandatsstärksten Klubs im Nationalrat sollten je einen Volksanwalt stellen. Das tun sie übrigens bis heute, auch wenn mittlerweile das Parlament deutlich bunter geworden ist.
Die Patronagefunktion der Parteien
Die Parteien halfen den eigenen Mitgliedern zu jener Zeit aber nicht nur dabei, Gehör bei Behörden zu finden und sich im zwar hochentwickelten, aber stark formalisierten Rechtsschutzsystem zu behaupten. Sondern die "Patronage", wie sie Wohnout nennt, ging weit darüber hinaus.
"Die meisten Menschen waren kraft Geburt entweder der SPÖ oder ÖVP zugehörig. Und es gab die Erwartung, dass man einen Nutzen daraus hatte", erzählt der Politologe Anton Pelinka. Dieser erhoffte Nutzen beinhaltete auch Wohnung und Arbeit, nicht nur Hilfe bei Behördengängen.
Der in fast alle Verästelungen staatlicher Stellen hineinreichende Proporz gewährleistete auch Anhängern der jeweils nicht regierenden Partei zumindest einen gewissen Zugang zu Macht und Möglichkeiten. Als Beispiel dafür nennt Pelinka, dass die ÖVP in Wien eine Zeit lang auch ein gewisses Kontingent an Gemeindewohnungen vergeben durfte.
"Der ganze Rückbau des staatlichen Sektors hat dazu geführt, dass das Patronagewesen zurückgegangen ist", sagt Wohnout. Pelinka erwähnt auch die Liberalisierung des Wohnungsmarktes in den 1960er-Jahren. "Der Einfluss der Parteien ist langsam weniger geworden, auf einmal hat bei der Wohnungssuche Einkommen eine größere Rolle gespielt."
Behördlicher Spielraum wurde eingeengt
Parallel gab es aber auch etliche andere Entwicklungen, die sich zum Teil bis heute ziehen und die ebenfalls die Dreiecksbeziehung von Bürger, Staat und Parteien neu definierten. Einige seien in Folge erwähnt.
Neue politische Bewegungen und Parteien zogen ins Parlament ein, gleichzeitig sank der Anteil der Stammwähler und Mitglieder der beiden Großparteien. Das allein lässt den alten Patronage-Gedanken heute gänzlich illegitim erscheinen, da nur mehr eine Minderheit davon profitieren würde - in den 70ern waren es mehr als 80 Prozent.
Ein weiterer Aspekt: In Österreich durfte staatliche Verwaltung zwar auch früher nur aufgrund von Gesetzen ausgeübt werden, jedoch waren diese viel knapper formuliert. Die Behörden hatten dadurch einen größeren Spielraum - und nutzten ihn auch. Ein extremes Beispiel ist dabei das Fremdenrecht, das bis in die 1980er auf zwei Seiten Platz hatte. Heute füllt es, auf mehrere Rechtsnormen verteilt, dicke Wälzer.
Diese Entwicklung, die sich auch in anderen Rechtsnormen zeigt, ist mehrschichtig. Einerseits ist sie Ausdruck des Anspruchs eines Primats der Politik in der Abwägung unterschiedlicher Interessen. Das betont auch die ehemalige Höchstrichterin und Ex-Neos-Abgeordnete Irmgard Griss: "Diesen Interessenausgleich muss der Gesetzgeber vornehmen. Er muss klare Richtlinien vorgeben", sagt sie. Willkür in Form einer Art Behördenlotterie soll dadurch vermieden werden.
Andererseits wird jeder Verwaltungsakt durch eine kasuistische Gesetzgebung bürokratischer, das Rechtsschutzsystem tendenziell noch labyrinthischer, und durch vielfaches Novellieren von Gesetzen kann die Rechtssicherheit insgesamt abnehmen. Dass mittlerweile mehr als 40 Prozent der Asylbescheide vom Bundesverwaltungsgericht revidiert oder abgeändert werden, sollte ein Fanal sein. Diese Quote ist auch bedeutend höher als in anderen Fachbereichen.
Auch wenn Griss für eine Präzisierung in der Gesetzgebung eintritt, sagt auch sie: "Jeden einzelnen Fall kann man nicht regeln, es muss immer einen gewissen Spielraum geben." Bei der Sozialhilfe hat Türkis-Grün diesen Spielraum gerade erst wieder erweitert, da es in der Praxis zu zahlreichen Härtefällen gekommen ist, die der Politik offenkundig unangenehm waren. Es wurden nämlich von Gewalt betroffenen Frauen in Frauenhäusern und behinderten Menschen in Wohngruppen die Leistungen gekürzt.
Kreiskys Kabinette als Postkasten für Anliegen
Und noch etwas ist in diesem Zusammenhang relevant: Wenn der Gesetzgeber den behördlichen Spielraum sehr eng gestaltet, kann aus einer politischen Intervention viel schneller eine Anstiftung zum Amtsmissbrauch werden.
Grundsätzlich sind Interventionen nicht unrechtmäßig. Sie können nämlich auch als Korrektiv verstanden werden. In der Ära Bruno Kreisky waren die Kabinette der Regierung auch damit beschäftigt, Briefe von Bürgerinnen und Bürgern einerseits zu beantworten, diese aber auch innerhalb der Beamtenschaft weiterzuleiten, wie der Historiker Oliver Rathkolb berichtet. Zwei Punkte sind dabei wichtig: Eine andere Entscheidung muss rechtlich zulässig sein - was früher, mit viel Spielraum, viel eher möglich war. Und über diese Hilfestellung darf nicht das Parteibuch entscheiden.
Ein jüngeres Beispiel von Interventionen boten die Abschiebungen von Kindern im Jänner 2021, die für große Aufregung bei den Grünen gesorgt hatten. Der kleine Koalitionspartner verlangte damals von Innenminister Karl Nehammer als Behördenchef sogar explizit eine Involvierung. Es gebe keine zwingende rechtliche Verpflichtung zur Abschiebung, sagte Vizekanzler Werner Kogler.
Wo ist die Grenze?
Die Grenzziehungen sind nicht immer leicht zu treffen. Im Lauf der Jahrzehnte hat sich aber doch mehrheitlich durchgesetzt, dass etwa die Vergabe von Jobs oder die Beförderung im Job nicht Serviceangebot einer Partei sein darf. Auch Pelinka und Griss ziehen hier eine sehr klare Linie, und die ehemalige Höchstrichterin ergänzt zur Grenzziehung: "Überall dort, wo Dritte geschädigt werden", also etwa eine besser Qualifizierte die Stelle nicht erhält oder nur das Grundstück des Parteifreundes umgewidmet wird.
Es ist auch der Grund, weshalb einige Chats für Aufregung gesorgt haben: "Servus Hansi, gestern hast gut getanzt, vielleicht kann die Polizeivertretung nach deiner Melodie tanzen und meinen Schwager nach St. Pölten versetzen", schrieb ein Funktionär der Wirtschaftskammer an den damaligen Finanzminister Hans Jörg Schelling. Dieser leitete das Begehr, wie "zackzack.at" berichtete, an einen Beamten weiter: "Können wir helfen?" Vor dem ÖVP-U-Ausschuss erklärte sich Schelling, dass immer wieder verschiedene Anliegen an ihn herangetragen worden seien und er diese an zuständige Stellen nur weitergeleitet habe.
Wenn Politikerinnen und Politiker um Hilfestellung in Behördenangelegenheiten kontaktiert werden, ist auch Griss um Differenzierung bemüht. Es sei jedenfalls Aufgabe von Politikern, auf Anliegen zu antworten, sagt die Juristin. Doch wenn versucht werde, etwas in der Verwaltung zu erreichen, "wird es kritisch". Sie spricht sich für eine klare Trennung aus. "Ein Politiker soll nicht in die Abläufe eingreifen. Es ist Sache der öffentlichen Verwaltung, entsprechende Anlaufstellen zu installieren."
Freilich, auch ein Minister und eine Bürgermeisterin sind Teil der Verwaltung, sie stehen an ihrer Spitze. Sie sind aber eben auch Politikerinnen und Politiker. Das macht die Grenzziehung schwieriger. Klar ist: Ein Exklusivservice für Parteimitglieder ist jedenfalls ein eindeutiger Hinweis darauf, dass die Grenze zur Illegitimität oder gar Strafbarkeit einer Hilfestellung überschritten wurde. Selbst bei wohlmeinenden Absichten. Zu vermuten ist aber auch: Bürgermeister, die nur Behördenleiter sind, aber direkte Anliegen, und sei es am Stammtisch, nicht mehr entgegennehmen, werden die nächste Wahl kaum überstehen. Gerade in kleinen Kommunen sind Gemeindepolitiker wichtige Anlaufstellen, nach wie vor.
Behörden öffnen sich und setzen auf Service
Im Lauf der Zeit hat sich auch die Verwaltung immer weiter geöffnet und direkte Wege der Kontaktaufnahme und Beschwerde ermöglicht. Im Jahr 2007 wurden beispielsweise Justiz-Ombudsstellen eingeführt. Sie arbeiten mittlerweile mehr als 4.000 Eingaben pro Jahr ab. Diese stärkere Serviceorientierung passiert seit Jahren, zwar nicht in allen Behörden im selben Tempo, aber Kafkas "Schloss" würde heute wohl nicht mehr geschrieben werden.
Ein kompletter Rückzug der Parteien als Ansprechpartner, wie das heute von vielen als gute Staatsführung empfunden wird, würde die Dreiecksbeziehung zwischen Bürger, Staat und Partei jedenfalls völlig neu prägen. Die Parteien wären in so einer Lesart nur mehr entfernte Bekannte, mit denen man etwas Zeit verbringt, vielleicht ein paar Interessen teilt, aber nicht viel mehr. Es würde zwangsläufig auch bedeuten, dass sich Parteiarbeit vorwiegend auf die abstrakte Ebene begeben müsste, bei der es um die Erarbeitung von Programmen, Rahmenbedingungen und Strukturen geht. Das Angebot der Hilfsstellung wäre verpönt, vor allem bei jenen Politikern, die von den Wählerinnen und Wählern mit Macht betraut werden. Sie müssten sich noch mehr auf ihre formale Position als Behördenleiter zurückziehen.
Aber wurde nicht gerade die KPÖ in Graz als Beispiel dafür genannt, dass sich die Parteien wieder näher zu den Bürgerinnen und Bürgern hinbegeben müssen? Sich direkt um ihre Anliegen kümmern und ihre Probleme lösen müssen?
Bürgermeisterin Elke Kahr versteht sich bis heute als Anlaufstelle, sie hält ein bis zweimal pro Woche Sprechstunden ab und wird dabei mit Bitten vielfältiger Natur konfrontiert. Mal geht es um fremdenrechtliche Angelegenheiten, mal um Begräbniskosten. Man versuche, zu helfen, heißt es aus Kahrs Büro. Und wenn jemand um einen Job fragt? "Das geht natürlich nicht, aber man kann Tipps geben", erklärt Kahrs Sprecher. Es bleibe alles im Rahmen des rechtlich zulässigen, alle Mitarbeiter im Magistrat müssten auch Dienstprüfungen ablegen. Regeltreue ("Compliance") spielt dabei eine große Rolle.
Wenn die Politik helfen will
Zum Teil wurde in Graz ein niederschwelliges Bürgerservice auch institutionalisiert. Seit einigen Jahren gibt es einen Sozialfonds der Stadt, um Grazerinnen und Grazern in finanzieller Not direkt zu helfen. Eingerichtet wurde der Fonds unter Bürgermeister Siegfried Nagl, wobei die KPÖ die Urheberschaft dieser Idee für sich beansprucht. Unter Kahr wurde das System insofern geändert, dass bei Beträgen bis 1.500 Euro das Sozialamt direkt entscheidet. Bis Dezember musste der Stadtsenat eingebunden werden, was dann häufig zu lange dauerte. Der Mieternotruf, den die KPÖ seit 1992 betreibt, bleibt aber Angelegenheit der Partei, er wird nicht kommunalisiert. "Da kann man freier agieren", sagt Kahrs Sprecher. Wer ein Problem mit einem privaten Vermieter hat, kann sich nicht einfach an die Behörde wenden, wohl aber an den Mieternotruf der KPÖ. Die Mietervereinigung, die der SPÖ sehr nahesteht, bietet ein ähnliches Service, allerdings ist eine Mitgliedschaft - in dem Verein, nicht in der Partei - Voraussetzung.
Die gegenwärtigen Ereignisse rund um Chats, Interventionen und vermutete oder auch dokumentierte Parteibuchwirtschaft könnten eine Debatte über die weitere Richtung dieser Dreiecksbeziehung befördern. Bei aller berechtigter Aufregung wohnt dem Thema grundsätzlich schon auch eine Ambivalenz und damit die Notwendigkeit der Differenzierung inne. "Wo sind die Grenzen des Parteienstaates?", fragt Heinrich Neisser, der 1977 die Volksanwaltschaft mitbegründete, heute im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Die Parteien, sagt der ehemalige Zweite Nationalratspräsident, müssten sich verpflichten, sich zu beschränken. "Das, was wir aber sehen, ist eine unkontrollierte Machtausübung, die zu einem Machtmissbrauch führt."
Unter Kurz hätte sich ein Fenster für einen Neubeginn geöffnet, den Parteienstaat alter Prägung durch ein "freies demokratisches Leben" zu ersetzen, so Neisser. "Mit großer Mehrheit hätte sich einiges machen lassen. Aber es ist nichts geschehen. Es gab Exzesse, und sie belasten nun das gesamte politische System."