Auf der Suche nach dem Kern der Ökopartei. Ein Gespräch mit Christoph Chorherr.
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Wien. Rettung vor dem drohenden Untergang: Das ist seit jeher das politische Versprechen der Grünen. Dabei kann die Erlösung auf zwei Wegen erfolgen: Durch Bewahren und Schützen von dem, was ist, egal ob nun Donau-Auen oder Altstadtkerne. Das ist das Erzkonservative an den Grünen. Der andere Weg verspricht Rettung durch Revolution. Hier geht es um das Niederreißen, am liebsten des ganzen Systems und um die Erziehungsarbeit zu einem neuen, besseren Menschen.
Beide Wege, vielfach verschlungen, führten zu Beginn der 1980er Jahre zur Gründung der Grünen. Seit ihrem Einzug in den Nationalrat 1986 hat sich die Bewegung zur Partei gemausert, die längt zum Inventar der Republik gehört. Ja, mehr noch: In den vergangenen dreißig Jahren sind die Grünen zu einem der beiden neuen Pole geworden, um die die Politik kreist. Es sind nicht länger SPÖ und ÖVP, welche die Lufthoheit über den Diskurs innehaben, es sind die Grünen und die FPÖ.
Und - im auffallenden Gegensatz zu den Freiheitlichen - es sind die Positionen der Grünen zum Bestandteil der etablierten Politik geworden. Dabei grundeln die Grünen seit Jahren rund um die Zehn-Prozent-Marke, und nun sogar darunter. Ausgerechnet vor der Nationalratswahl segeln die Grünen durch raue See.
Von daher bekommt die Frage nach dem Kern der Grünen besondere Bedeutung für die Republik. Für Christoph Chorherr liegt dieser Kern auf der Hand: "Umweltschutz", und zwar aus der Überzeugung heraus, "dass für ein gutes und gerechtes Leben auch die Gesetze der Natur gelten müssen". Und im Wissen, "dass ein Wirtschaftssystem, dessen Kern der Wachstumszwang ist, dem gegenwärtigen und künftigen gerechten Leben schadet". Und noch einen Aspekt fügt der Wiener Gemeinderat und ehemalige Bundessprecher hinzu: Zu einem solchen Leben gehöre auch ein "aktives Füreinander-da-Sein", und zwar im lokalen wie im europäischen Sinn. "Es geht uns besser, wenn wir füreinander da sind."
Nicht nur gut, auch gerecht soll das Leben sein. Quasi eine Fusion von Materialismus und Metaphysik. Den Grünen geht es verlässlich um das größtmögliche Ganze. Das gibt grüner Politik oft den Anschein messianischer Überzeugung, und weil es dabei um die letzten Dinge geht, ist die Selbstgewissheit, in Sachen Moral auf der einzig richtigen Seite zu stehen, bei den Grünen besonders verbreitet. Das behaupten zumindest die Kritiker der Grünen.
"Absurd" findet Chorherr diesen Vorwurf an seine Partei, ständig als Moralisierer aufzutreten. Ja, die Grünen hätten Werte und feste Grundsätze, "aber man darf dabei nicht die eigene Moral über die Grundsätze anderer stellen". Denn: "Das Herz der Politik ist der Kompromiss."
Rational gegenemotionalen Impuls
Warum dann diese Unerbittlichkeit in der Auseinandersetzung mit dem anderen Pol der österreichischen Politik, der FPÖ? Tatsächlich inszenieren sich die Grünen Wahl um Wahl als Gegenstück zu den Freiheitlichen. Diese Fokussierung hält auch Chorherr für kontraproduktiv. "Indem wir immer so viel Energie darauf verwenden aufzuzeigen, was die FPÖ Furchtbares sagt, versäumen wir, unsere eigenen Zukunftspläne zu präsentieren." Hoffnung, statt Angst zu verbreiten: Chorherr findet, dass dies seine Partei auszeichne; und diese Stärke will er weiter stärken, zumal im Schlechtreden des Gegners immer auch eine Verachtung für dessen Wähler durchscheine. In der Politik erfüllt das durchaus den Tatbestand der Selbstbeschädigung.
Chorherr ist, obwohl lange dabei, ein untypischer Vertreter seiner Partei: Der Sohn des langjährigen Chefredakteurs der konservativen "Presse", Thomas Chorherr, ist als Stadtpolitiker bekennender Pragmatiker, zudem Milizleutnant des Bundesheers. Entsprechend geerdet ist auch seine Haltung zum Metathema unserer Zeit, der Migrations- und Integrationsfrage. Mit einer moralischen Pflicht, Zuwanderung gut zu finden, kann er wenig anfangen. "Angesichts der Ereignisse der letzten Jahre und der Größe der Probleme überkommt jeden Bürger, mich miteingeschlossen, das Gefühl, dass alles zu viel wird, es zu viele sind. Aber ich versuche, diesen Impuls rational zu kontrollieren." Und weil eben Europa weder ganz Afrika aufnehmen könne noch solle, ergebe sich daraus die Pflicht, sich für ein besseres Leben der Menschen in ihrer Heimat zu engagieren.
Wahrscheinlich ist das eine Position, der eine Mehrheit der Österreicher zustimmt. Den Grünen gelingt ein solches Kunststück in der täglichen Politik sehr selten. Einzige Ausnahme: Alexander Van der Bellen, der im direkten Duell mit der FPÖ die Oberhand behielt, indem er das Ghetto grüner Positionen moralischer Überlegenheit ablegte. Diese Hoffnung hegt Chorherr auch für seinen Bereich, die Stadtpolitik. Die zwinge zu Pragmatismus: "Wenn wir aus unserem Schlamassel an Problemen herauskommen wollen, dann nur mithilfe der Kommunalpolitik." Städte, schwärmt Chorherr, hätten eine 5000-jährige Erfolgsgeschichte beim Lösen politischer Probleme: "Nationen gibt es seit 100, 150 Jahren, hier spielen Identitäten, Grenzen und Religionen eine zentrale Rolle. In der Stadt dagegen brauchen alle Bürger Kanal, Strom und Schulen. Wenn Bürgermeister die Welt regierten, wäre vieles einfacher."
Möglich, aber nicht zwingend. Schließlich wird seit 25 Jahren jeder Wien-Wahlkampf - auch und besonders bei den Grünen - als Abwehrkampf gegen die FPÖ inszeniert. "Ein Fehler", findet Chorherr, und er höre von immer mehr Wählern, dass sie ebenfalls lieber wüssten, wohin die grüne Reise gehe.
Zum Kern der Grünen zählt auch ein unbedingtes Ja für eine immer engere Integration der Union. Dabei hat die Partei bei der EU-Volksabstimmung 1994 für ein Nein geworben. Gemeinsam mit der FPÖ. Heute plädieren die Grünen im Zweifel verlässlich für mehr Europa. Auch hier leistet sich Chorherr den Luxus eines Einspruchs: "Ich bin ein glühender Europäer, immer schon gewesen, aber ich glaube nicht an das Ziel einer einheitlichen Union." Den Nationalstaat hält aber auch er nicht für die zentrale Problemlösungsinstanz, weshalb er eine Umverteilung von Kompetenzen zugunsten der Städte prophezeit. "Dann kommt es zu schnellen und pragmatischen Lösungen, das werden wir noch erleben."
Was also ist die Quintessenz der Grünen? Chorherr: "Wir sind von der Breite her eine Volkspartei, obwohl uns derzeit nur 10 Prozent der Bürger wählen. Trotz unserer inhaltlichen Breite haben wir ein starkes Wertefundament und konsistente Antworten auf viele Fragen."
Das mag für viele, aber eben nicht für alle wichtigen Fragen gelten, wie die letzten Wochen zeigen. Die Folgen der neuen Unübersichtlichkeit drohen, ausgerechnet die Partei zu überfordern, die erst aus der Überforderung der alten Traditionsparteien mit der Moderne entstanden ist. Revolution und Retten als politisches Prinzip war schon einfacher.
Christoph Chorherr, Geboren 1960 in Wien, studierte Volkswirtschaft; von 1991 bis 1996 nicht-amtsführender Stadtrat, seit 1997 im Gemeinderat; Bundessprecher der Grünen von 1996 bis 1997.