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Über die Hürden im Binnenmarkt

Von Heike Hausensteiner

Wirtschaft
Bei grenzüberschreitenden Aktivitäten sind in der Europäischen Union immer wieder Hindernisse zu überwinden.
© fotolia

Wo es sich im vereinten Europa noch immer spießt.
| EU-Kommission schreibt Wettbewerb für Bürger aus.


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Brüssel. Ein Portugiese lebt in Belgien, arbeitet in den Niederlanden, braucht für die Gehaltsüberweisung ein niederländisches Konto - ein solches kann er aber nicht eröffnen, da er keine Adresse in den Niederlanden hat. Diese und ähnliche Geschichten möchte die EU jetzt hören.

Bei dem Wettbewerb "Tell us your story!" ("Erzähle uns deine Geschichte!") sollen europäische Bürger, Geschäftsleute oder Unternehmen ihre praktischen Erfahrungen mit dem Binnenmarkt schildern. Die EU-Kommission, das EU-Parlament und die künftige polnische EU-Ratspräsidentschaft sammeln bis

24. Juni Beispiele aus Bereichen, in denen es bei den Grundfreiheiten der EU (für Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital) Verbesserungsbedarf gibt: Gesucht werden sowohl Erfolge, die trotz anfänglicher Schwierigkeiten doch noch zustande gekommen sind, als auch Probleme, mit denen Klein- und Mittelbetriebe zu kämpfen haben, Barrieren bei Aufenthaltsgenehmigungen oder bei Reisen.

"Jeder Nettozahler ist auch Nettogewinner"
Bewerben kann man sich in einer der 23 offiziellen Sprachen der EU. Denn bei "Tell us your story!" geht es den offiziellen EU-Stellen auch darum, das Gespräch mit der Bevölkerung zu suchen: "Alles, was den Dialog mit den Bürgern intensiviert und ihnen die EU näher bringt", sei zu begrüßen, sagt dazu EU-Abgeordneter Othmar Karas (ÖVP) im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Er ist als einziger österreichischer Parlamentarier Mitglied im Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments.

"Der Binnenmarkt ist die Antwort auf die Wirtschaftskrise und die Globalisierung", meint Karas. Und er betont, dass "jeder EU-Nettozahler auch ein Nettogewinner ist". Österreichs volkswirtschaftlicher Gewinn durch die erweiterte EU sei zehnmal so groß wie die Summe, die aus dem Land in die EU fließe. Karas kritisiert die verspätete Arbeitnehmerfreizügigkeit mit den neueren EU-Mitgliedsländern aufgrund der erst im heurigen Mai abgelaufenen Übergangsfrist: Österreich versuche, mit Grenzen (politischen) Gewinn zu machen, "obwohl wir von der Erweiterung profitieren". Der Binnenmarkt sei noch nicht fertig. Die Frage sei, ob der nächste Integrationsschritt in Richtung "vereinigte Staaten Europas" gelinge.

Bei der Umsetzung des Binnenmarktes liegt Österreich EU-weit im Mittel- bis Schlussfeld. Das geht aus dem "Binnenmarktanzeiger" hervor, den die EU-Kommission regelmäßig veröffentlicht. Im Schnitt sind 0,9 Prozent der Binnenmarktrichtlinien, deren Umsetzungsfrist bereits abgelaufen ist, noch nicht in nationales Recht umgesetzt. Die Staats- und Regierungschefs hatten 2007 dafür genau 1 Prozent als Ziel festgesetzt.


Österreich zuletzt noch in 26 Fällen säumig
Spitzenreiter bei der Umsetzung der Richtlinien ist Malta (alle bis auf zwei). Demgegenüber liegen sieben Mitgliedstaaten - darunter Österreich - über dem maximalen Wert von

1 Prozent nicht umgesetzter EU-Rahmengesetze. Österreich hat 26 Binnenmarktrichtlinien, für die die Umsetzungsfrist abgelaufen ist, noch nicht implementiert. Das entspricht 1,1 Prozent. Das höchste Umsetzungsdefizit verzeichnet Italien mit 2,1 Prozent.

Werden die Binnenmarktregeln nicht rechtzeitig umgesetzt oder angewendet, sind meist Vertragsverletzungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Folge. Österreich hatte zuletzt 36 Verfahren vor dem EuGH laufen; auch hier ist Malta (15) EU-Musterschüler, negativer Spitzenreiter ist Belgien (109). Die meisten Verfahren betreffen generell die Bereiche Steuern und Zollunion sowie Umwelt.

Rechtsdurchsetzung ohne den Gerichtsweg
Ein schnelleres Verfahren, um Probleme im Binnenmarkt zu lösen, bietet Solvit. Die nationale Anlaufstelle, die alle Mitgliedstaaten einrichten müssen, ist in Österreich beim Wirtschaftsministerium beheimatet. Solvit bietet Bürgern wie Unternehmern eine kostenlose Möglichkeit, zu ihrem Recht zu kommen ohne den Gerichtsweg beschreiten zu müssen.

"Die Einbindung von vertrauten Ansprechpartnern in den nationalen Behörden und Institutionen ermöglicht in vielen Fällen eine pragmatische und rasche Lösung", erklärt Volker Hollenstein, Sprecher von Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner, auf Anfrage der "Wiener Zeitung". In Österreich landeten im Vorjahr 124 Anfragen oder Beschwerden bei Solvit, sie werden innerhalb von durchschnittlich 52 Tagen bearbeitet.

Der Schwerpunkt liege dabei in den Bereichen Visa und Aufenthaltsrechte, soziale Sicherheit (Familienbeihilfe, Pensionen) sowie Berufsanerkennung, erläutert Hollenstein. "Solvit wird teilweise bereits in die Aktivitäten rund um die Gestaltung und Umsetzung neuer Richtlinien und Verordnungen eingebunden." So könnten Praxisprobleme oder bestehende Lücken von vornherein aufgezeigt werden.

Warum die Umsetzung des Binnenmarktes in manchen Ländern besser funktioniert als in anderen, erklärt sich EU-Abgeordneter Karas mit dem "mangelnden politischen Willen. "Wir müssen ja nicht Musterschüler sein. Aber wir haben nicht einmal noch die Kennzeichnung von sämtlichen EU-Projekten erreicht, wie das im Koalitionsabkommen vorgesehen ist."

Einreichungen zum Wettbewerb "Tell us your story!" sind noch bis 24. Juni im Internet möglich. Über die Geschichten der fünf Gewinner wird ein Kurzfilm gedreht. Die Sieger erhalten zudem eine Einladung zum "Binnenmarktforum" Anfang Oktober in Krakau.

http://www.tellusyourstory.eu

https://webgate.ec.europa.eu/solvit