Was ist der Kern, der die Neos zusammenhält, Personen wie Strolz und Griss, eine gemeinsame Idee? Ein Gespräch mit Claudia Gamon.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Werner Faymann und Michael Spindelegger: Das waren im Vorfeld der Wahlen 2013 die beiden besten Argumente für die Neos. Bei den Wahlen schafften sie mit 5 Prozent auf Anhieb den Sprung ins Parlament. Das Perpetuum mobile des Coups ist Mathias Strolz. Der Vorarlberger, bis dahin Kommunikationsberater im ÖVP-Umfeld, wollte in die erste Reihe und rief mit Gleichgesinnten eine neue Bewegung aus enttäuschten Schwarzen und anderen Bürgerlichen ins Leben, die später mit den Resten des LIF fusionierte.
Heute liefern sich Christian Kern und Sebastian Kurz ein sehenswertes Duell um die Führung Österreichs. Ob Neos heute gelingen würde, was 2013 gelang? Unwahrscheinlich. Dass ihnen trotzdem alle Umfragen einen entspannten Wiedereinzug prognostizieren, ist angesichts der neuen Lage wohl die größte Leistung. In der Bildungspolitik und beim Kampf gegen den Kammerstaat, auch beim Thema Pensionen haben die Neos wohl die stärksten Spuren hinterlassen.
Dass es sich um keine ganz einfache Partei handelt, lässt sich am Wortungetüm erahnen, das als Listenbezeichnung für den 15. Oktober dient: "Neos - Das neue Österreich gemeinsam mit Irmgard Griss, Bürgerinnen und Bürger für Freiheit und Verantwortung": Das widerspricht allen Regeln des Marketingsprechs, dass es schon wieder mutig ist.
Was ist aber der Kern, der die Neos zusammenhält, Personen wie Strolz und Griss, eine gemeinsame Idee? "Ganz viel mehr als nur Personen", ist Claudia Gamon überzeugt. Die 28-Jährige sitzt seit 2015 im Nationalrat und bewirbt sich erneut um ein Mandat. Gamon sieht Neos als ein Projekt von "engagierten, bürgerlich-liberal gesinnten Menschen, die bei keiner anderen Partei zuvor eine politische Heimat gefunden haben". Nur als "konservativ" will sie auf keinen Fall wahrgenommen werden. Stattdessen will Neos "eine praxisnahe, erlebbare und evidenzbasierte liberale Politik machen". Nie aus dem Bauch heraus, sondern mit Daten und Fakten. "Wir Neos lassen uns nicht leicht einordnen, das ist wahrscheinlich das Schicksal von Liberalen", befindet Gamon. Das macht es den Wählern nicht unbedingt leichter.
Das beginnt mit dem Begriff "liberal", in den jeder hineinliest, was er will. Dabei hat die Idee des Liberalismus eine lange Tradition des Misstrauens gegenüber der Verführbarkeit des Kollektivs und der Macht des Staats. Sind die Neos in diesem Sinn liberal? Eine "gesunde Portion Skepsis gegenüber dem Staat, ja gegenüber allen Autoritäten", sieht Gamon bei Neos. Der Staat müsse nicht alles in Eigenregie gestalten, "das Verhältnis zu den Bürgern soll wie eine ständige Unterhaltung sein", doch darauf sei weder die Verwaltung noch die Politik eingestellt.
Davon abgesehen ist das Verhältnis der Neos zum Staat vor allem "pragmatisch", wie Gamon offen bekennt. Kritiker könnten das beliebig nennen. Ein Beispiel: Soll der Staat sich aus privatwirtschaftlichen Unternehmen zurückziehen, wie es Liberale alter Schule wollen? Gamon: "Damit ist derzeit kein Blumentopf zu gewinnen, ich muss mich ja nicht mit Gewalt aus der Politik hinausschießen." Oder soll der Staat seine Bürger erziehen? "Die Bürger sind klug genug, um zu wissen, was gut und schlecht für sie ist", aber an den Rauchverboten will sie trotzdem nicht rütteln. Dafür kann sie mit Verboten für Diesel- und Benzinmotoren nichts anfangen. Da solle sich der Staat nicht einmischen. Alles eine Frage der Verhältnismäßigkeit.
Das kann man willkürlich nennen oder eben pragmatisch. Ganz sicher aber ist es das schwere Erbe einer politischen Kultur, die seit hundert Jahren ohne liberalen Anker auskommen muss.
So gesehen verwundert es nicht, dass die Neos noch keine klare Rollenteilung zwischen dem Staat und seinen Bürgern, dem Einzelnen und dem Kollektiv, gefunden haben. Vielleicht ist eine solche Unterscheidung aber auch nicht mehr zeitgemäß. Wer kann das schon sagen in diesen verwirrenden Zeiten, in denen sich alle nach Sicherheit sehnen und trotzdem ringsum fast überall nur neue Unsicherheit entsteht?
Jedenfalls soll sich der Staat aus der Organisation des Privatlebens heraushalten. Deshalb solle etwa der Karenzanspruch nicht an das Kind gekoppelt werden, sondern als individueller Anspruch für die Partner bestehen. Auch das niedrigere Frauenpensionsalter soll schnellstmöglich an die Männer angeglichen werden, einfach weil die derzeitige Regelung die Pensionen für Frauen verringere. Dafür will Gamon von einer Frauenquote für private Unternehmen nichts wissen. Ganz generell gehe es für Neos um einen Perspektivenwechsel bei allen Fragestellungen: weg vom Staat, hin zum Bürger.
Pragmatisch ist der Zugang von Neos auch zur Religion. Die radikale Haltung des bekennenden Religionskritikers Niko Alm, der im März freiwillig aus dem Parlament ausschied, hat sich die Partei nie zu eigen gemacht. Auch Gamon bezeichnet sich selbst als Atheistin und kritisiert die unsaubere Trennung von Staat und Religion zugunsten der katholischen Kirche. "Religion", findet sie, "ist Privatsache", entsprechend sollen religiöse Symbole aus dem öffentlichen Raum verbannt werden. Über das Kreuz im Klassenzimmer solle die Klassengemeinschaft entscheiden. Auch mit einem Verbot der Vollverschleierung kann sie nichts anfangen, obwohl sie die Burka ablehne.
Im Zweifel für Europa: So könnte man die EU-Politik der Neos zusammenfassen. Am Ende soll eine europäische Republik stehen, "nicht heute, nicht morgen, aber als Perspektive in 15 Jahren". Ist das dann nicht ein Projekt an den Bürgern vorbei? Nein, denn bei dem Verfassungskonvent, der die Grundlagen dafür schaffen soll, sollen auch die Bürger eingebunden sein.
Man sieht: Ein rosa Faden ist nicht leicht bei Neos aufzuspüren. Das ist auch nicht leicht für eine junge Partei in einer komplizierten Welt, und vielleicht ist es auch nicht einmal das Ziel. Und eine gewisse Unübersichtlichkeit stellt sich, sieht man vom Chef Matthias Strolz ab, auch beim Personal ein. Ob Griss jetzt kandidiert oder nicht, war über Monate hinweg ein beliebtes Ratespiel. Im Vorfeld des Wahlkampfs werden Unterstützer präsentiert, die aber, wie im Fall des Europaexperten und ehemaligen ÖVP-Politikers Heinrich Neisser, bei ihrer alten Partei bleiben, oder gleichzeitig, wie Datenschützer Max Schrems, für die Wahl eines anderen Spitzenkandidaten werben.
Aber wie gesagt: Vielleicht leben Neos nur jetzt schon vor, wie bald alle Parteien sein werden. Offene Vorwahlen inklusive.
Claudia Gamon, geboren 1988 in Feldkirch, startet Gamon bei den "JuLis", den Jungen Liberalen, in der Hochschulpolitik. Studium an der WU Wien. Seit 2015 ist sie Frauen-, Jugend und Wissenschaftssprecherin der Neos.