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Über eine Niederlage will in der CDU keiner nachdenken

Von Christian Burckhardt

Politik

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Über den Katastrophenfall bei der Bundestagswahl will niemand bei den deutschen Unionsparteien CDU und CSU offen reden. Aber im trauten Gespräch werden schon düstere Szenarien für den Verlust der

Macht als stärkste Bundestagsfraktion durchgespielt. Nicht wenige prophezeien dabei: "Wenn das passiert, dann gibt es ein Hauen und Stechen." Zu Kämpfen werde es kommen um Führung und Neuorientierung

in der Ära nach Helmut Kohl kommen, heißt es. Ob daraus Kohls Wunschnachfolger, Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble, als neue Leitfigur hervorgehen werde, sei nicht sicher. Als sicher gilt aber,

nach einer Wahlschlappe wird heftiger Streit über die Frage ausbrechen: Wer trägt die Schuld am Debakel?

Schon die CDU/CSU-internen Debatten der vergangenen Wochen waren von Zweifeln und Kritik an der Wahlkampfstrategie geprägt. Kann man mit dem 16 Jahre amtierenden Kanzler Helmut Kohl als alleinigem

Zugpferd und mit dem Slogan "Weltklasse für Deutschland" die Wahl gewinnen? Muß die Union nicht vor allem ihre programmatischen Alternativen zur SPD aufzeigen? Sachsen Ministerpräsident Kurt

Biedenkopf beklagte: "Wolfgang Schäuble, ich und andere haben immer wieder den Versuch gemacht, zu den Sachfragen zu kommen." Und ein CDU-Bundestagsabgeordneter grübelte: "Wir hätten den Wechsel von

Kohl zu Schäuble schon vor einem Jahr vollziehen müssen. Jetzt ist es zu spät."

Die Diskussion über die Union nach Kohl, der bei einem Wahldebakel den Parteivorsitz aufgeben will, zeigte auch: Das Gerangel um Positionen nach der Wahl am 27. September fängt schon an. Da drängelte

Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) via Interviews nach vorne und ließ es gerne zu, als Nummer drei in der Partei · hinter Kohl und Schäuble · gehandelt zu werden. Rühe und Schäuble versicherten

einander der guten Kooperation. Verärgert über die Debatte, die auch Interviewäußerungen Schäubles ausgelöst hatte, war vor allem die Schwesterpartei CSU. Deren Politiker hielten, um Geschlossenheit

im Wahlkampf bemüht, ihren Zorn im Zaum, doch der könnte sich nach einer Wahlschlappe entladen. Vorsorglich heißt es in der CDU schon: "Es muß alles getan werden, um die Einheit von CDU und CSU nicht

zu gefährden."

Schäuble als Nachfolger Kohls im CDU-Chefsessel, das wäre für die CSU schwer zu verdauen. Denn Schäuble vertritt für viele Christsoziale zu liberale Positionen. Seine Bemühungen um eine

programmatische Modernisierung beobachten sie mit Argwohn. Zudem könnte der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber · gestärkt durch ein gutes Ergebnis bei der Landtagswahl · seinen Anspruch auf

die nächste Kanzlerkandidatur 2002 anmelden. In CSU-Kreisen wird auch angemerkt, im Falle des Falles könne Kohl nicht allein zum Südenbock abgestempelt werden. "Da wird auch einiges an Schäuble

hängenbleiben", heißt es. Nicht zuletzt deshalb hatte erst kürzlich heftig seinen Unmut darüber ausgelassen, daß ihn Kohl während des Wahlkampfes bereits zum "Wundschnachfolgekandidaten auf Abruf"

gemacht hatte.

Mit Verlierern ist die CDU/CSU nie pfleglich umgegangen. Die CDU-Kanzler Kurt-Georg Kiesinger und Ludwig Erhard büßten nach ihrem Abgang rasch das Amt des Parteichefs ein. Nur Adenauer blieb noch

drei Jahre an der CDU-Spitze. Allen Exkanzlern wurden abrupt Respekt und Anerkennung entzogen, mehr oder weniger offen wurden sie mit Häme bedacht. Erst Jahre später wurden ihre Verdienste gewürdigt.

Um selbstzerfleischendes Gezerre um Schuld und Macht zu vermeiden, "muß die Partei gleich nach der Wahl klare und richtungsweisende Beschlüsse fassen", heißt es mahnend in der CDU. Spekuliert wird,

daß der CDU-Parteitag deshalb von November auf Oktober vorgezogen werden könnte. Eine schwere Belastungsprobe steht den Schwestern auch ins Haus, sollte es zu einer großen Koalition mit CDU/CSU als

Juniorpartner kommen. Doch recht einmütig wird in CDU und CSU versichert: "Wir werden uns nicht auseinanderdividieren lassen."

Nicht alle Experten rechnen mit einer langen Krise nach dem Machtverlust. Die CDU sei "personell und inhaltlich auf eine Neuorientierung eingestellt", sagt Hans-Joachim Veen von der Konrad-Adenauer-

Stiftung. Schäuble sei als künftiger CDU-Bundesvorsitzender vorgesehen, "aber es könnte auch eine Kampfabstimmung um den Parteivorsitz geben". Für Veen wird die CDU mit dem Zukunftsprogramm von

Schäuble auf einen liberaleren Kurs gehen. "Mit der Sozialstaatspartei wird es vorbei sein", sagt Veen voraus. Anders als die SPD hat die CDU hat weit mehr erfahrene Politiker in der zweiten Reihe

als die SPD.

Doch zuvor wird es nach Einschätzung des Göttinger Parteienforschers Franz Walter zur Neuauflage der alten Flügelkämpfe zwischen Neoliberalen und sozial Orientierten kommen. Seine Prognose lautet:

"In der Opposition wird es zunächst drunter und drüber gehen. Es wird viel Mühe kosten, die Regierungsfähigkeit zurückzugewinnen".