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Über eine Region ohne Definition

Von Sissi Eigruber

Europaarchiv

Die Länder in Südosteuropa, in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens, die Balkanländer: Wir tun uns schwer mit der Bezeichnung einer europäischen Region, die innerhalb von wenigen Jahren ein völlig neues Gesicht bekommen hat.


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Ist Südosteuropa dasselbe wie der Balkan? Gehören Rumänien und Bulgarien dazu oder nicht? Und was ist mit Griechenland und der Türkei?

"In der Tat gibt es für diesen Teil Europas eine semantische Konfusion", erklärte Erhard Busek, Sonderkoordinator des Stabilitätspaktes für Südosteuropa, jüngst in einem Vortrag. Das Wort Balkan komme eigentlich aus dem Türkischen und heißt "Berg", so Busek. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass sich das Balkangebirge aber nicht im Bereich des ehemaligen Jugoslawiens befindet, sondern in Bulgarien.

Eine Frage der Geographie . . .

"Der Balkan als Gebirge reicht vom Schwarzen Meer bis nach Serbien", lautet die Auskunft vom Institut für Geographie und Regionalforschung an der Universität Wien auf Anfrage der "Wiener Zeitung". Die Balkan-Halbinsel hingegen wird mit dem Bereich südlich der Flüsse Save und Drau beschrieben. Da zählen dann nicht nur die ex-jugoslawischen Staaten und Albanien, sondern auch Griechenland und der europäische Teil der Türkei. Zu den Balkanstaaten im engeren Sinn gehören Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien und Montenegro, Mazedonien und außerdem Albanien. Bei der häufig synonymen Verwendung der Begriffe Balkan und Süd-Ost-Europa gibt es allerdings Ungereimtheiten, denn zu den Balkanstaaten im weiteren Sinne gehören auch Rumänien und Bulgarien (immerhin ist dort das namengebende Gebirge). Zu Südosteuropa werden manchmal aber auch Griechenland und der europäische Teil der Türkei gezählt. Allerdings wird auch von Seiten des Universitätsinstituts betont, dass es keine einheitliche Definition gibt.

. . . oder eine Frage der Politik?

"Der Balkan beginnt am Rennweg", sagte einst Fürst Metternich. Doch die Bezeichnung Balkan umstritten, auch was die "political correctness" betrifft: "Balkanisierung, Balkan-Methoden, hier geht's zu wie am Balkan, sind negativ besetzte Formulierungen", betonte Busek. Unterschiede gibt es oft auch zwischen der Fremdsicht und jener der Bewohner eben dieser Region: So kommt zum Beispiel die Bezeichnung Ex-Jugoslawien in Slowenien meist nicht gut an und für die Kroaten liegt Kroatien in Mitteleuropa.

Die Bezeichnung "Western Balkans" wiederum sei ein Konstrukt der EU, um die Formulierung "Länder des ehemaligen Jugoslawiens" zu vermeiden, wies Busek auf einen weiteren Begriff hin. Dabei werde Slowenien aber weggelassen, dem man eine mitteleuropäische Befindlichkeit zuordnet, die aber genauso für andere Staaten des "Westbalkans" zu konstatieren wäre. "Das zeigt die Verlegenheit, die wir mit dieser Ecke Europas haben", so Busek. Es sei auch ein Beleg dafür, dass sich Europa bisher zu wenig damit auseinander gesetzt hat, wo es beginnt und wo es endet. Selbst der Verlauf der Grenzen könnte sich in Süd-Ost-Europa vielleicht noch ändern: "Ob die Landkarte schon abgeschlossen ist, wissen wir nicht - das gilt speziell für den Kosovo", meinte Busek. Er glaubt nicht, dass sich die Kosovo-Albaner mit etwas anderem als der Selbständigkeit zufrieden geben werden. Die Grenzen zu ändern, würde allerdings bedeuten, "die Büchse der Pandora zu öffnen", warnte Busek.