Die Hofburg-Wahl zeigt: Das Neue kommt immer radikaler, schneller. Und die Medien?
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Was ist die Idee von Politik, was ist die Idee von Journalismus - und wie stehen diese Säulen freier Gesellschaften zu- und gegeneinander? Das klingt reichlich abstrakt für einen Leitartikel, allerdings geben der Wahlkampf für das Amt des Bundespräsidenten und die jüngsten medienpolitischen Ankündigungen der Regierung genug Stoff für eine Erörterung.
Der Hofburg-Wahlkampf verdeutlicht, dass sich Österreich wie der "Westen" insgesamt in einer neuen Ära befindet. Nichts daran ist völlig neu, aber fast alles geschieht radikaler, schneller: Die Kritik an, der Widerstand gegen Institutionen und "das System"; die Erosion einer gemeinsamen Öffentlichkeit; der fortgesetzte Orientierungsverlust der Politik, die damit selbst immer weniger Orientierung bietet.
Guter Journalismus ist nicht dazu da, diese Entwicklungen nur zu kommentieren oder zu bejammern, zumal in jeder Veränderung auch Chancen für Verbesserung stecken. Ziel muss es sein, nach den Ursachen für diese Entwicklungen zu fragen, die Perspektive der "anderen" zu verstehen und zu rationalisieren, auch wenn man deren Sicht nicht teilt (es wäre lächerlich zu bestreiten, dass Journalismus immer auch eine konservative, systemstabilisierende Dynamik innewohnt, wenn das Neue als Gefahr wahrgenommen wird).
Journalismus bedeutet also, die Motive aller Akteure transparent zu machen, die Trends konsequent weiterzudenken und die potenziellen Folgen aufzuzeigen. Am Beispiel dieser Wahl heißt das zu vermitteln, dass zumindest fünf, eher sogar sechs der sieben Kandidaten andere Ziel verfolgen, als den Einzug in die Hofburg zu schaffen. Das ist legitim; es muss nur transparent gemacht werden.
Was heißt das für die journalistische Begleitung eines solchen Wahlkampfes, der nur noch am Rande mit dem Amt zu tun hat? Die einzig falsche Antwort ist, so zu tun, als sei alles ganz normal.
Der Job, dieses Neue erst aufzudröseln und dann wieder als Ganzes verständlich zu vermitteln, hat sich für Journalisten nicht verändert. Zumal das Bedürfnis wie die Notwendigkeit enorm sind, eben weil die einst stabilen Verhältnisse drohen, ins Rutschen zu kommen - oder bereits im Rutschen sind. Doch zugleich sieht sich ein Journalismus mit diesem Anspruch im Mehrfrontenkrieg: Alternative Fakten und ihre Akteure, anonyme Algorithmen, ökonomisches Prekariat - und eine Politik, die immer mehr mit sich selbst statt mit den Problemen, die zu lösen sie im Amt ist, beschäftigt ist.
Symbolpolitik tritt an die Stelle von Sachpolitik. Als "Pars pro Toto" darf das von der Regierung angekündigte Aus der "Wiener Zeitung" als Tageszeitung gelten.