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Uber macht’s vor, die anderen ziehen nach

Von Cathren Landsgesell

Wirtschaft
"Sag Nein zu Uber": Kalifornische Taxifahrer kämpften im Sommer 2014 für ein Verbot des Fahrtendienstes Uber.
© reu/Max Whittaker

Flexible Preise werden bei Handel und Dienstleistungen zur Normalität.


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Wien. Was im Sinne der Preisbildung smart sein mag, kann auch zynisch sein. Zum Beispiel Uber: Während der Geiselnahmen in Sydney im Dezember wurden Fahrten mit dem Taxidienst teurer. Wer den betroffenen Business District verlassen wollte, zahlte statt der üblichen 25 plötzlich 100 Australische Dollar, berichtete der Nachrichtendienst "Mashup". Uber nutzt Algorithmen, um die Fahrtpreise je nach Angebot und Nachfrage zu erhöhen oder zu senken. Das passiert automatisch. Ubers Algorithmus weiß nicht, warum die Nachfrage steigt oder sinkt.

Digitale Preisschilder

Im Amerikanischen heißt diese dynamische Form der Preisbildung "Surge Pricing", frei übersetzt "Flut-Preise". Alternativ spricht man auch von "flexiblen Preisen", "Smart Pricing" oder "Dynamic Pricing". Uber steht unter anderem deswegen in der Kritik und ist in einigen Ländern, zum Beispiel in Frankreich und den Niederlanden, verboten. Bei dynamischer Preisgestaltung gibt es keine Fixpreise für ein Produkt oder eine Dienstleistung. Die Preise können sich je nach Angebot und Nachfrage ändern: Apps wie "Table8" verhelfen in Los Angeles oder San Francisco zu Tischen in eigentlich ausreservierten Restaurants - zu höheren Preisen. Über die App "FitMob" kommt man zu günstigeren Restplätzen in Fitnessstudios. Die "Resthaarbörse", noch ohne App, vermittelt in Wien freie Plätze beim Friseur.

Dynamic Pricing ist nicht nur was für Dienstleistungen, sondern auch für Produkte und den Laden: Digital unterstützte Preisetiketten, Electronic Shelf Labels (ESL), werden zentral gesteuert und sind jederzeit veränderbar. Der Preis am Regal kann morgens ein anderer sein als am Abend. Der Lebensmittelkonzern Rewe International und der Elektronikhändler Mediamarkt/Saturn setzen ESL bereits ein. Sind dies nur technologische Spielereien, die das Bestehende lediglich erweitern, oder bahnt sich hier etwas völlig Neues an?

Völlige Markt-Transparenz?

"Das läuft auf eine Flohmarktisierung von Preisen hinaus", sagt Dietmar Dahmen, Chief Innovation Officer in der Online-Agentur ecx.io und ein Spezialist für digitale Markenführung. "Es wird keine festen Preise mehr geben, weil durch die Digitalisierung viel mehr Informationen über einen viel größeren Zusammenhang in den Preis einfließen. Der Zusammenhang kann anders werden und der Preis auch." Aus seiner Sicht ist die Entwicklung zum einen nicht aufzuhalten und zum anderen für alle gut - den Anbieter wie den Kunden. "Wenn Sie jetzt denken, es geht darum, immer den maximalen Preis zu erzielen, dann liegen Sie falsch", sagt er. Der Sinn und damit der Nutzen von Smart Pricing besteht aus Dahmens Sicht in vollständiger Markt-Transparenz - eigentlich eine Utopie der Wirtschaftswissenschaften. Das Ziel ist der optimale Preis, nicht der maximale. Dahmen nimmt ein Beispiel aus der Logistik: "Wenn ich durch die Sensoren im Kühlraum des Lkw weiß, die Fuhre Erdbeeren wird nicht mehr frisch sein, wenn sie am Ziel ankommt, kann ich sie zu einem früheren Zeitpunkt und an einem anderen Ort günstiger verkaufen."

Smart Pricing ist in der Dahmenschen Perspektive das letzte Glied in einer Kette der optimierten Wertschöpfung. Der Preis bildet ab, was der Algorithmus für relevant hält und daher einberechnet: den Lagerbestand, die Saison, die Aktionen der Konkurrenz, den globalen Rohstoffmarkt, Suchanfragen bei Google... Was Relevanz hat, ist je nach Branche und Produkt oder Dienstleistung verschieden. Smart Pricing kann helfen, Abfall zu vermeiden, indem das Gemüse vor Ladenschluss verbilligt wird, oder Verkehrsflüsse steuern, indem öffentliche Verkehrsmittel zu Stoßzeiten günstiger sind. MediaMarkt/Saturn reagiert mit den ESL auf den starken Wettbewerb in der Elektronikbranche: Geht die Konkurrenz mit dem Preis für Oled-Fernseher runter, muss MediaMarkt/Saturn nachziehen, damit der Kunde nicht zum nächsten Anbieter geht. Die Supermarktkette Billa hält mit den digitalen Preisauszeichnungen seine Best-Preis-Garantie up-to-date. Für den Konzern sind digitale Preise eine Zukunftstechnologie: "Wir beobachten die Entwicklungen sehr genau", sagt Rewe-Sprecherin Ines Schurin. Im Merkur Minimarkt am Westbahnhof Wien sind ESL bereits im Einsatz.

Shoppen in der Preisblase

Konsumentenschützer wie Daniela Zimmer von der Arbeiterkammer Wien sehen die Entwicklungen skeptisch. Nicht etwa aus Optimierungsangst, sondern weil das Prinzip Big Data, das hinter den smarten Preisen steht, auch individualisierte Preise erlaubt: "Das führt zu absoluter Intransparenz, denn ich kenne als Konsument den Marktpreis ja nicht, sondern werde willkürlich in eine Preisklasse hineingeworfen", sagt Zimmer. Die Bildung von Preisklassen ist in größerem Maßstab derzeit nur online möglich. So hatte das Buchungsservice "Orbitz" vor zwei Jahren negative Publicity, weil es Apple-Usern in der Annahme, ihnen sei Komfort wichtiger als der Preis, zuerst die teureren Suiten angeboten hatte.

Das Prinzip der Preisklassen kann via Kundenkarte und digital verstärktem Shop auch in die Welt des stationären Handels Eingang finden. Wie damit konsumentenrechtlich umzugehen ist, ist offen. Auch ist die Frage, ob man überhaupt merkt, dass man in einer Preisblase shoppt. Heute sind zum Beispiel alternative Suchergebnisse noch sichtbar, wenn auch weiter unten. Die fortschreitende Monopolisierung im Handel, Stichwort Amazon, und bei den digitalen Diensten, Stichwort Google, allerdings lässt diese Transparenz zunehmend schwinden. Dahmen hat auch darauf eine optimistische Antwort: "Im Kapitalismus ist das normalerweise so: Wenn einer zu mächtig wird, dann wird jemand eine Gegenmaßnahme entwickeln, wenn sich damit Geld verdienen lässt. Also gibt es dann eine App, die Amazon knackt."