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Über Ramadi weht wieder die irakische Fahne

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Kampf gegen den Islamischen Staat - mit der irakischen Armee an der Frontlinie in Anbar.


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Kharma. Am gefährlichsten Punkt der Frontlinie ist es mucksmäuschenstill. Brigadegeneral Ali Abdul Hussein Khadim kniet auf dem für ihn im Sand ausgebreiteten Teppich und betet zu Allah. Vorher hat der Kommandant der irakischen Armee noch schnell den Staub von Gesicht, Händen und Füßen gewaschen. Ein Ritual, das Millionen Muslime zur selben Zeit befolgen. Der Koran besagt, dass sie sauber vor dem Herrn niederknien sollen. Es ist kurz vor 12 Uhr Mittag. "Auch Daesh (der IS, Anm.) betet jetzt", grinst Mohammed, der Humvee-Fahrer. "Zwischen 14 und 17 Uhr ballern sie dann los."

Al-Raduan, Hassha, Al Abadi, Kharma: Wir sind im Norden von Falludscha und tasten uns an Ramadi heran. Dort toben seit Monaten erbitterte Kämpfe zwischen Daesh, den Regierungstruppen und Milizen der sogenannten Hashid Shaabi, der Volksmobilisierungskräfte. Immer wieder hieß es, die Rückeroberung Ramadis stehe kurz bevor. Und immer wieder behielt Daesh die Oberhand und die anderen zogen sich zurück. Doch diesmal sind sich die irakischen Offiziere ganz sicher. Noch in diesem Jahr, verkündete das Verteidigungsministerium vor kurzem, würden die Sicherheitskräfte Ramadi einnehmen, die Hochburg der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Westen von Bagdad. Jetzt scheint es so weit zu sein. Die irakische Regierung verkündete gestern Nachmittag die Einnahme der Provinzhauptstadt von Anbar.

"Hervorragende IS-Sniper"

Während der General noch betet, zeigt sein Fahrer durch ein Guckloch im Unterstand, warum dieser Ort der gefährlichste im Frontabschnitt ist. Ein kleiner Bach hat eine glatte Ebene geschaffen, durch die die Daesh-Kämpfer problemlos auf die Truppe von Ali Hussein Khadim zielen können. "Die haben hervorragende Sniper", berichtet Saed, der im Unterstand Wache schiebt. "Erst gestern haben sie einen von uns erwischt." Insgesamt habe er in den letzten vier Monaten 56 Mann von seiner Brigade verloren, antwortet der General später auf die Frage nach den Verlusten. Seine Einheit kontrolliert die Provinz Anbar von unmittelbar hinter der Stadtgrenze Bagdads an. Khadim und seine 3500 Soldaten sind verantwortlich für den Internationalen Flughafen, das Gebiet bis kurz vor Falludscha und dann nördlich Richtung Ramadi, der Provinzhauptstadt.

"Wir haben Ramadi zuerst umrundet", erklärt der Kommandant die Strategie der Militärs, "dann haben wir uns Millimeter für Millimeter vorangekämpft." Die Vorgehensweise jetzt sei eine andere gewesen als bei den beiden früheren Angriffen. Damals sei blitzartig vorgegangen worden und danach habe man Mühe gehabt, die Stellungen zu halten. Das sei bei Kharma so gewesen, einer Stadt zwischen Falludscha und Ramadi, die erst vor wenigen Wochen von Khadims Brigade durch einen Blitzangriff zurückerobert wurde und immer noch unter Beschuss liegt. Als er das sagt, explodiert eine Mörsergranate auf einem Sandsack hinter der Frontlinie. Durch die auf einem Eisenstab installierten Kameras kann man sehen, woher das Geschoss kam. "Sie verwenden auch Raketen und selbst gebastelte Sprengsätze mit Fernzündern", sagt der General und schaut auf den Monitor im Unterstand. Die Kameras überwachen den gesamten Frontverlauf, zeigen auf, wenn sich auf der anderen Seite etwas bewegt. Auch wenn das Zentrum von Ramadi nun in der Hand der Regierungstruppen ist, gehen die Kämpfe im Nordosten der Stadt weiter.

Unbemerkte Ausbreitung

Anbar ist die flächenmäßig größte Provinz Iraks und fast gänzlich in der Hand von Daesh. Als erste Stadt überhaupt fiel Falludscha schon im Januar 2014 unter die Kontrolle der Dschihadisten. Vorangegangen waren monatelange Demonstrationen der mehrheitlich sunnitischen Bewohner der Provinz gegen die Diskriminierung durch die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad und gegen ihren damaligen Premierminister Nuri al-Maliki. Beim Abzug der US-Truppen Ende 2011 hielt Maliki die Zusagen nicht ein, die Sunniten in die Sicherheitskräfte zu integrieren und ihnen auch politische Mitsprache einzuräumen. Die Schiiten sollten alles dominieren. So fiel das erklärte Ziel der sunnitischen Dschihadisten, die ungerecht Behandelten rächen zu wollen, auf fruchtbaren Boden. Fast ohne Gegenwehr konnte Al Kaida Plus, wie Daesh in Anbar genannt wird, Falludscha erobern. Fünf Monate später überfielen sie dann Mossul, Tikrit und weitere Städte im Norden Iraks. Langsam und weitgehend von der Öffentlichkeit unbeachtet breitete sich der Islamische Staat in der ganzen Provinz Anbar aus, bis er sich im Mai schließlich die Provinzhauptstadt Ramadi einverleibte.

Die 270.000 Einwohner zählende Stadt ist bisher neben Mossul im Norden und Falludscha im Westen mit die wichtigste Hochburg der sunnitischen Extremisten im Irak. Zudem führt von Ramadi aus eine wichtige Verbindung in die ostsyrische Stadt Dair as-Sour, ebenfalls ein wichtiges Zentrum der Terrormiliz.

Jeden Morgen fahren Brigadegeneral Khadim und sein Fahrer Mohammed die Frontlinie ab, sprechen mit den Offizieren, die in den unterschiedlichen Abschnitten verantwortlich sind. Er sei ein guter Kommandant, sagen seine Untergebenen, höre sich die Probleme an, sorge für Abhilfe und klopfe anerkennend auf die Schultern. Das stärke die Moral der Truppe, was auch dringend nottut. Denn bei dem Angriff von Daesh auf Ramadi im Mai liefen viele Soldaten einfach weg.

Offiziere sind Zielscheiben

Zuvor hatten die Dschihadisten hohe Offiziere der irakischen Armee auf einer nahegelegenen Militärbasis umgebracht, die Truppe blieb ohne Kommando. Hinzu kam, dass die Befehlsstrukturen chaotisch verliefen, eine Strategie fehlte und das Oberkommando in Bagdad völlig unstrukturiert operierte. Khadim hat seinen Offizieren daraufhin empfohlen, die Sterne an den Schulterklappen zu verdecken. Daesh habe es auf die hohen Ränge abgesehen. Im Winter funktioniert die Tarnung mit dicken Pullovern oder Jacken. Inzwischen habe sich auch die Kommandostruktur verbessert, berichtet der General. Die Absprache mit Bagdad funktioniere besser. Vor allem seit die Schiitenmilizen sich zurückgezogen hätten und die Amerikaner verstärkt eingreifen. Täglich fliegt die US-Luftwaffe nun Angriffe auf Ramadi und Umgebung. Khadim und die anderen Generäle der acht Brigaden, die in den Kampf um Anbar involviert sind, liefern Informationen über potenzielle Angriffsziele nach Bagdad. Dort wird dann entschieden, ob und wann gebombt wird.

Plünderungen durch Schiiten

Für ihre Beteiligung am Kampf um Anbar haben die Amerikaner zur Bedingung gemacht, dass sich die unzähligen Schiitenmilizen, die den Kern der Hashid Shaabi, der sogenannten Volksmobilisierungskräfte bilden, aus der mehrheitlich von Sunniten bewohnten Provinz zurückziehen und stattdessen sunnitische Kämpfer aus den unterschiedlichen Stämmen Anbars rekrutiert würden. Man will die alte Allianz der "Sahwa" wieder aufleben lassen, wie sie US-General David Petraeus 2007 im Kampf gegen Al Kaida schmiedete und die Nuri al-Maliki sträflich vernachlässigte. Auch Brigadegeneral Khadim ist dafür, dass die Schiitenmilizen aus Anbar verschwinden. In seinem Verantwortungsbereich gäbe es schon keine mehr, sagt der General, selbst ein Schiit. "Die haben mir große Probleme bereitet."

Nach der glorreichen Rückeroberung von Tikrit im April, die maßgeblich von Schiitenmilizen vollzogen wurde, strömten die schiitischen Freiwilligen nach dem Fall Ramadis in die Provinz Anbar. Plünderungen, Raubüberfälle und Angriffe auf die sunnitische Bevölkerung waren die Folge. Khadim hatte Mühe, die Anschuldigungen, die auf ihn und seine Brigade zukamen, zu entkräften. Inzwischen sind einige der schiitischen Kämpfer in die Armee integriert, die anderen in die Nachbarprovinzen Dijala und Salahuddin abkommandiert worden. Auch deshalb ist ein Sieg in Ramadi so wichtig. Ein Erfolg in Anbar ist für die irakische Armee und die Regierung in Bagdad politisch, militärisch und symbolisch von höchster Brisanz.