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Die Regierung will die Übererfüllung von EU-Mindeststandards, das sogenannte "Gold-Plating", abschaffen.
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Wien. An neun Stellen ist im Regierungsprogramm der Begriff "Gold-Plating" erwähnt. Und sagen wir so: Ein großer Fan davon ist die Regierung nicht. Es verursache "der heimischen Wirtschaft erhebliche Kosten", die "Österreichs Wettbewerbsfähigkeit massiv gefährden". Außerdem könne die "Vermeidung von Gold-Plating das Steuerrecht wesentlich entlasten", heißt es weiter. Aus diesem Grund wolle man die "Rücknahme von Gold-Plating zu Lasten von Unternehmen", und auch im Banken- und Versicherungsrecht sowie bei Genehmigungsverfahren soll "Gold-Plating" zurückgenommen werden. Und auch im Agrarbereich ist deutlich zu lesen: "Kein Gold-Plating."
Doch was besagt dieser Begriff überhaupt, der hierzulande bisher noch nicht Eingang in die breite politische Debatte gefunden hat? Gold-Plating (zu Deutsch: Vergolden) ist ein Lehnwort aus dem Wirtschaftsenglisch und steht für die Zusatzarbeit an einem Projekt, die keinen Mehrwert bringt. Europapolitisch ist die Bedeutung etwas anders gelagert, die Herkunft offenbart jedoch, dass es sich hier um einen abwertenden Begriff handelt, als würden beim Gold-Plating nur Kosten, aber kein Nutzen entstehen. Und manchmal ist das wirklich so.
Übersetzt wird Gold-Plating meistens mit der "Übererfüllung von EU-Richtlinien und Verordnungen". Dagegen protestiert der ehemalige EU-Kommissar und jetzige Präsident des "Forum Alpbach", Franz Fischler: "Das ist nicht richtig", sagt er. "Richtlinien müssen immer in nationales Gesetz gegossen werden, und in diesen Richtlinien sind bewusst Spielräume enthalten. Es steht den Nationen frei, von dieser Flexibilität Gebrauch zu machen."
In einigen EU-Ländern würden diese Spielräume großzügig interpretiert werden, in Österreich nicht. "Wir legen den Gesetzestext sehr eng aus", sagt Fischler. Die Folge sind oft umstrittene Rechtsvorschriften wie jene zu Küchenschneidbrettern und Kochlöffeln, bei denen die EU angeblich vorschreiben würde, dass sie nicht aus Holz sein dürften. In der entsprechenden EU-Richtlinie zur Lebensmittelhygiene ist davon aber gar nichts zu lesen. Es heißt darin bloß, dass Utensilien "so gebaut, beschaffen und instand gehalten sein [müssen], dass das Risiko einer Kontamination so gering wie möglich ist".
Davon, dass kein Holz, sondern Plastik zu verwenden sei, ist tatsächlich nichts zu lesen. "Das hat nur ein österreichischer Beamter so interpretiert", sagt Fischler. Ein anderes, wohlbekanntes Beispiel ist die Allergenverordnung der EU, die zu großer Aufregung in Österreich geführt hat. Allerdings nur hier, wie Paul Schmidt, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, erzählt: "In keinem anderen Land war das ein Problem, weil dort ein Kellner über die Allergene informiert. Bei uns wurde das vollkommen übererfüllt."
Schlechtes Zusammenspiel
Es sind zwei Beispiele, wie aus der Mücke eines Gedankens für einen besseren Konsumentenschutz ein bürokratischer Elefant gemacht werden kann, der dann, wie im Regierungsprogramm zu lesen ist, "zu Lasten von Unternehmen" geht. Dabei ist das gar nicht intendiert, weder von der EU-Kommission, noch von der heimischen Politik und auch nicht von der Verwaltung. Es passiert einfach. Schuld ist freilich die EU.
"Das Problem liegt im Verhältnis zwischen der Beamtenschaft und der Politik", sagt Fischler. "In vielen Staaten wird das, was von den Beamten vorgeschlagen wird, von der Politik unterstützt. In Österreich nur solange es keine Probleme in Brüssel gibt." Diese gibt es aber immer wieder, es kommt zu Verfahren gegen EU-Mitglieder, weil eben Richtlinien und Verordnungen zu spät oder nicht ausreichend umgesetzt werden. Österreich zählt in der EU in dieser Hinsicht zwar vergleichsweise zu den Vorzugsschülern, hatte aber schon dutzende Verfahren.
"Wenn es Probleme gibt, neigt die Politik zu der Erklärung, dass die Beamten das vermurkst hätten und sie selbst keine Schuld träfe", erklärt der ehemalige EU-Kommissar. "Es ist verständlich, dass sich die Beamten davor schützen wollen und deshalb versuchen, wasserdichte Lösungen zu finden." Genau das kann zur Komplexität in den Ausführungen beitragen. Die Analyse von Fischler zum unbeabsichtigten Gold-Plating weist auf ein systemisches Problem hin, nämlich das zunehmend schlechter werdende Zusammenspiel zwischen Politik und Verwaltung.
Kleine Kompromisse
"Es ist sicher lohnend, Vorschriften zu durchforsten, man muss sich diesen Aufwand auch antun", sagt Fischler. "Dieses Generalisierende führt aber sehr weit." Denn nicht jede "Vergoldung" ist unbeabsichtigt. In vielen Bereichen wählte man in Österreich bewusst schärfere Standards, etwa beim Umweltschutz. "Die EU ist ja auch eine große Kompromissmaschine", betont Paul Schmidt von der Gesellschaft für Europapolitik. Alle Mitglieder versuchen dabei, eine gemeinsame Linie zu finden, und naturgemäß liegt dann diese Linie eher tiefer als höher.
Fischler warnt daher, "das Kind mit dem Bade auszuschütten", wie er sagt. "Die Regierung tendiert dazu, das Gold-Plating als Ausrede dafür zu nutzen, Vorschriften zu lockern." In den Anwendungsbereichen, von denen im Regierungsprogramm zu lesen ist, geht es auch primär um eine Entlastung von Unternehmen, Banken, Versicherungen und Projektbetreibern. "Die Vermutung ist nicht von der Hand zu weisen, dass hier die Industriellenvereinigung Feder geführt hat", sagt der ehemalige EU-Kommissar.
Hoffen auf weniger Bürokratie
Umweltorganisationen haben schon vor Wochen ihrer Sorge Ausdruck verliehen, dass bewusst gewählte höhere Standards zurückgenommen werden könnten. "Zum Teil ist da auch viel historisch gewachsen", erklärt Thomas Alge vom Ökobüro, einer Dachorganisation verschiedener Umweltverbände wie Greenpeace, Global 2000 und WWF. "Im Gewässerschutz hatte Österreich immer schon sehr hohe Standards und lag schon beim Beitritt weit über dem, was die EU jetzt vorgibt."
Würde man nun gewissermaßen ein Verbot von Gold-Plating gesetzlich verankern, also Festschreiben, dass immer nur die Mindeststandards der EU gelten, würde sich die Regierung selbst Handlungsspielraum nehmen. Und das stünde dann doch in einem gewissen Widerspruch zum europapolitischen Wunsch nach mehr Subsidiarität. Denn diese sei, so steht es im Regierungsprogramm, ein "Garant gegen zentralistische Tendenzen in der EU".
Bedeutend ist hier die exakte Sichtweise auf Europa. "Geht es darum", fragt Fischler, "ob wir einfach mehr selbst entscheiden wollen, dann läuft es auf Renationalisierung hinaus." Oder geht es um weniger Mikromanagement in Brüssel? Zwischen FPÖ und ÖVP gab es in der Vergangenheit auf diese Fragen doch unterschiedliche Antworten, vereinbart ist nun die zweite Variante: die EU soll sich auf das Wesentliche fokussieren und nicht monatelang um Lebenmittelhygiene debattieren. Bei dem Modell könnte auch viel Bürokratie eingespart werden, sagt Schmidt. "Wenn es weniger EU-Vorgaben gibt, gibt es auch weniger Bürokratie - und zwar auf beiden Seiten", sagt er. Dann würde sich auch die Frage nach dem Gold-Plating seltener stellen.