Es ist überraschend, wie viele auch durchaus formal hochgebildete Menschen diversen Unsinn glauben.
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Was für ein Vierteljahr! Ein Lockdown wie seit Jahrzehnten nicht mehr und durchwegs eine große Angst vor Infektionen, wie wir sie nicht kannten. Zukunfts- und Jobsorgen sowie die psychische Belastung durch Ausgangsbeschränkungen und anderes wurden auch zum Nährboden für allerlei Verschwörungstheorien. Manche wirken unterhaltsam, andere sind zum Kopfschütteln. Unterschätzen sollte man sie trotzdem nicht.
So ergab eine repräsentative Befragung des Austrian Corona Panel Projects der Universität Wien, dass fast vier von zehn Österreichern überzeugt sind oder sich zumindest nicht auszuschließen trauen, dass Microsoft-Gründer Bill Gates in irgendeine Verschwörung rund um Covid-19 und einen Impfstoff verwickelt sei. Was genau er vorhat? Nun, da scheiden sich auch unter den Aluhutträgern die Geister. Die meisten nehmen aber an, er wolle die Weltbevölkerung dezimieren. Ein klassischer Plan à la Dr. Evil, den man nur den superreichen Supereliten zutrauen kann. Dazu kauft Gates in einem chinesischen Biowaffenlabor ein Virus. Da er ja, so die Aluhutdoktrin, dank öffentlich deklarierter Spendengelder die WHO kontrolliert, kann er nun die Bevölkerung weltweit mit Microchips und Impfungen zwangsbeglücken. Um so richtig reich zu werden.
Ist man aus dem Kopfschütteln über diese Ideen wieder herausgekommen, kann man sie locker zerpflücken: Es beginnt damit, dass die WHO eher einflusslos ist. Gates seinerseits ist so reich, dass er den Löwenanteil seines Vermögens spendet - noch mehr Reichtum fällt als Motiv aus. Zudem wäre es eine schlechte Strategie, denn eine dezimierte Weltbevölkerung kauft weniger Microsoft-Produkte. Gates besitzt auch keine Microchipfertigung, hätte also keine Erträge daraus. Die aus Microchips gewonnenen Daten sind dank Facebook und Smartphones längst ausgeschöpft. Und die Profite? Nun, die auf den Lockdown folgende Wirtschaftskrise kostet ihn garantiert mehr, als er an Profiten zu erwarten hätte. Der Einwand, dass Verschwörungstheoretiker gar nicht so weit denken wollen, ist berechtigt. Überraschend ist also höchstens der Umstand, wie viele auch durchaus formal hochgebildete Menschen solchen Unsinn glauben.
Historisch betrachtet gab es immer wieder vage gehaltene Feindbilder, die nach Bedarf auch instrumentalisiert wurden. Über Jahrhunderte zählten antisemitische Bilder dazu, seit dem Mittelalter halten sich Geschichten über die Templer, heute sind es die Bilderberger, George Soros, 9/11 und nun eben auch Bill Gates. Das Vage, Geheimnissvolle, das man nicht so ganz ausschließen kann, hat stets Konjunktur - und dass jene, die mehr Geld haben als man selbst, damit auch böse Dinge anstellen könnten, ist eine menschliche Urangst, die mangelnde Selbstsicherheit schonungslos offenlegt. Diese Tendenzen können eine Bedrohung für unsere Gesellschaft darstellen, sie richten zweifelsfrei Schaden an. Sachliche Information ist eine Notwendigkeit einer Verantwortungsgesellschaft.
Es gibt aber auch Positives anzumerken: So halten immerhin zwei Drittel der Österreicher die Aussage "Die neuen 5G-Sendemasten sind für die Verbreitung des Coronavirus verantwortlich" für definitiv falsch, weitere 14 Prozent sind sich "eher sicher, dass es falsch ist", zusammen also mehr als 80 Prozent schwere Skeptiker. Nur 3 Prozent halten die Aussage für "eher oder sehr richtig". Man kann den Leuten also doch nicht ausnahmslos jeden Blödsinn auftischen. Das macht Mut.