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Übergangsregierung oder Neuwahlen

Von Rainer Mayerhofer

Europaarchiv

Präsident Giorgio Napolitano will Konsultationen bis zum Dienstag abschließen. | Wahlrechtsreform im Mittelpunkt der Überlegungen. | Wien/Rom. Nach dem Rücktritt des italienischen Regierungschefs Romano Prodi hat Staatspräsident Giorgio Napolitano am Freitagabend die beiden Präsidenten der Parlamentskammern, Franco Marini (Senat) und Fausto Bertinotti (Abgeordnetenhaus) zu Gesprächen empfangen. Die Konsultationen werden ab Samstag mit den Vertretern der Parlamentsparteien fortgesetzt und sollen am Dienstag mit Gesprächen mit Napolitanos Amtsvorgängern Francesco Cossiga, Oscar Luigi Scalfaro und Carlo Azeglio Ciampi abgeschlossen werden.


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Danach wird der Präsident entscheiden, ob er einen neuen Auftrag zur Regierungsbildung erteilt oder ob es zu vorgezogenen Neuwahlen kommt. Napolitano hat die Demission Prodis noch nicht angenommen und den Premier mit der Weiterführung der Geschäfte betraut.

Für den Fall, dass sich Napolitano entscheiden sollte, eine Übergangsregierung zu ernennen, deren Hauptaufgabe die Verabschiedung eines neuen Wahlrechts wäre, hat einer der Favoriten bereits abgewunken. Senatspräsident Franco Marini will nicht für das Amt eines Regierungschefs zur Verfügung stehen.

Berlusconi verlangt sofortige Neuwahlen

Für sofortige Neuwahlen sprach sich Oppositionschef Silvio Berlusconi aus, der nach Umfragen mit einer bequemen Mehrheit rechnen kann. Nach 20 Monaten auf der Oppositionsbank hofft er auf eine baldige politische Revanche und warnt vor politischen Manövern wie einer Übergangsregierung, die vor Neuwahlen eine Wahlreform verabschieden soll.

Zwei seiner drei Koalitionspartner hat Berlusconi mit dieser Forderung hinter sich: Die Alleanza Nazionale (AN) von Gianfranco Fini und die Lega Nord Umberto Bossis, der bereits mit einer Revolution gedroht hat, wenn es nicht bald zu Neuwahlen kommt. Die Christdemokratische Partei UCD des ehemaligen Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Pierferdinando Casini, hatte sich bisher entschieden für die Verabschiedung eines neuen Wahlrechts vor Neuwahlen ausgesprochen.

Diese Forderung erhob am Freitag auch der Präsident des Industriellenverbandes Confindustria, Luca Cordero di Montezemolo. Man müsse die Veto-Macht der Mikro-Parteien limitieren, appellierte der Industriellenchef an die Verantwortlichen in den beiden politischen Lagern.

Für die Verabschiedung eines neuen Wahlrechts vor einem neuerlichen Urnengang sprechen sich natürlich auch die Vertreter der derzeitigen Regierung aus.

Romano Prodi hatte die Vertrauensabstimmung im Senat mit 156 zu 161 Stimmen verloren, weil ihm zwei der Mini-Parteien aus seinem Lager die Gefolgschaft aufgekündigt hatten - die christdemokratische Udeur des zurückgetretenen Justizministers Clemente Mastella und die Liberaldemokraten des ehemaligen Regierungschefs und Außenministers Lamberto Dini. Beide Parteien verfügen über drei Senatoren, von denen jeweils einer für Prodi und zwei gegen ihn gestimmt haben.

Drei Ex-Minister Berlusconis wechselten

Dini und Mastella hatten indirekt bereits seit Wochen ihr Ausscheren aus der Koalition angekündigt. Beide waren in der ersten Regierung Silvio Berlusconis 1994/95 Minister und die Frauen der beiden Politiker hatten zuletzt Probleme mit der Justiz.

Der fünfte Senator aus seinem eigenen Lager, der Prodi am Donnerstagabend das Misstrauen aussprach, war Domenico Fisichella, auch er Minister in Berlusconis erstem Kabinett und erst bei den letzten Wahlen ins Prodi-Lager gewechselt.

Der sechste Koalitionsflüchtling, Franco Turigliatto, stammt aus den Reihen der Kommunisten und wurde bereits vor einem Jahr aus seiner Partei ausgeschlossen, nachdem er mit seiner Weigerung, der Verlängerung des italienischen Einsatzes in Afghanistan zuzustimmen, Mitauslöser der damaligen Regierungskrise gewesen war.

Der Abstimmung im Senat, die das Schicksal der Regierung Prodi besiegelte, waren wüste Szenen vorangegangen. Der Udeur-Senator Nuccio Cusumano, der abweichend von seiner Parteilinie angekündigt hatte, für Prodi zu stimmen, war von seinem Parteikollegen Tommaso Barbato wüst beschimpft worden. Augenzeugen schilderten, dass Barbato Cusumano auch ins Gesicht gespuckt habe, was Barbato aber bestreitet, allerdings mit dem Zusatz, er sei dazu nicht nahe genug an seinen Kollegen herangekommen. Cusumano, der einen Zusammenbruch erlitt, wurde wegen seines Stimmverhaltens aus seiner Partei ausgeschlossen.

Als feststand, dass Prodi die Vertrauensabstimmung verloren hatte, knallten auf den Oppositionsbänken die Proseccokorken und ein AN-Senator verzehrte genüsslich Mortadellascheiben - eine Anspielung auf den aus Bologna stammenden Regierungschef. Mortadella gilt als Spezialität dieser Stadt.

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