Zum Hauptinhalt springen

Übergroße Impfskepsis wäre fatal

Von Ingrid Korosec

Gastkommentare
Ingrid Korosec war Nationalratsabgeordnete der ÖVP und Volksanwältin. Sie ist seit 2016 Präsidentin des Österreichischen Seniorenbundes.
© Sabine Klimpt

Von den Älteren sind jetzt Augenmaß und Risikoabwägung gefragt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Das Corona-Vakzin von AstraZeneca steht wegen Thrombosen, die in zeitlicher Nähe zur Impfung aufgetreten sind, in der Kritik. Das deutsche Paul-Ehrlich-Institut hat 31 Verdachtsfälle auf 3 Millionen Impfungen gemeldet, die englischen Behörden dieselbe Zahl auf 18 Millionen Impfungen. Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA hat vor kurzem entschieden, den Impfstoff trotzdem weiter uneingeschränkt zuzulassen. Die Abwägung des Risiko-/Nutzen-Verhältnisses spricht für eine Weiterverwendung des Impfstoffes von AstraZeneca. Diese Entscheidung ist anhand der Zahlen durchaus nachvollziehbar: Das Risiko, dass eine Thrombose überhaupt auftritt, entspricht jenem, an einer Corona-Infektion zu sterben.

Gerade für ältere Menschen ist die Frage Impfen oder Nicht-Impfen zentral. Sie erkranken und sterben häufiger an Covid-19. Und ihnen droht zusätzlich durch die Vereinsamung noch der soziale Tod, der letztlich den physischen beschleunigt. Deshalb war es die richtige Entscheidung, Menschen und Personal in Heimen zuerst zu impfen. Die hohe Durchimpfungsrate dort hält Intensivbetten frei, die mittlerweile dringend für Jüngere benötigt werden: Im Wiener AKH liegt das Durchschnittsalter der Intensivpatienten bereits bei nur 52 Jahren. In den Heimen selbst erlauben die niedrigen Infektionszahlen mehr Lebensqualität im Alltag, weil nun mehr Besuche möglich sind.

Ältere Menschen, die noch daheim wohnen, brauchen im Moment noch Geduld - mehr Geduld, als die meisten aufbringen wollen. Pflegende Angehörige bringen wenig Verständnis dafür auf, dass es für sie weiter warten heißt. Der Unmut dieser Gruppen wächst bedingt durch die wenig einheitliche und schwer zu durchschauende Vorgangsweise: Menschen gleichen Alters, die Tür an Tür leben: Eine/r erhält einen Impftermin, der/die andere nicht. Dass Jüngere im Impfplan vorgezogen werden, steigert die Verärgerung weiter.

Gerade bei Letzterem ist aber eine gesamtgesellschaftliche Sichtweise dringend gefragt. Wien veranlasste im März die Impfung des Personals in Schulen und Kindergärten, insgesamt 50.000 Menschen. Dazu kamen weitere 35.000, die in Spitälern, für Rettungsdienste und mobile Dienste arbeiten. Warum sie und nicht ältere Menschen, die planmäßig ja an der Reihe wären? Weil die einen Frauen, die im Handel arbeiten, den Rücken freihalten, wenn sich Kinderbetreuung nicht privat organisieren lässt. Und weil die anderen die medizinische Versorgung und Pflege am Laufen halten. Das gilt auch für das Verwaltungspersonal dort. Kinder wollen betreut, Kranke behandelt werden, beides setzt auch eine funktionierende Bürokratie voraus.

Ein für alle erträgliches Zusammenleben basiert auf Solidarität. Im ganz persönlichen Alltag bedeutet dies, die eigenen, gut argumentierbaren Interessen in manchen Situationen dem Allgemeinwohl unterzuordnen. Die Jüngeren mussten im Lauf der Pandemie viel einstecken. Jetzt ist Augenmaß von der älteren Generation gefordert. Die Diskussion um die Impftermine zeigt jedoch eines: Geimpft zu werden, ist für viele das Mittel der Wahl gegen die Pandemie. Übergroße Impfskepsis wäre fatal.