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Überlastung muss kein Schicksal sein

Von Irene Welser

Wirtschaft
Heuer sind wir schon ausgelastet - Beschwerden bitte an Anwalt und Richter Foto: bb

Verfahren werden teilweise absichtlich von Rechtsanwälten verschleppt. | Richter setzen ihre Mittel zur Prozessstraffung nicht ein. | Anmerkungen aus der Sicht einer Rechtsanwältin. | Wien. Es wird hart verhandelt. Laut Personalanforderungsrechnung fehlen der Justiz 430 Dienstposten - die Richter drohen mit Streik. Am Handelsgericht Wien allein wird ein Plus von 12.000 Akten kolportiert. Zwei wesentliche Gründe dafür sind wohl die Haftungsansprüche geschädigter Kleinanleger sowie eine generell erhöhte Klagefreudigkeit in Zeiten der Wirtschaftskrise.


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Und die aktuelle Überlastung der Gerichte und der Richterstreik sind nicht nur ein politisches Thema, sondern auch ein Punkt, der den "Nutzern", also dem Prozessanwalt und der rechtssuchenden Partei, große Sorge bereitet.

Aber was ist in dieser Situation zu tun? Hilft nur die Hoffnung, dass den Forderungen der Richterschaft nach einer Aufstockung der Planposten Gehör geschenkt wird, oder gibt es sonst Abhilfe? Es ist kein Geheimnis, dass die Personalsituation in den Gerichten sehr angespannt ist. Dies gilt nicht nur für die Richterposten. Beim Handelsgericht Wien gibt es etwa 20 Streitrichter, die sich mit der Verhandlungsführung in erster Instanz beschäftigen, doch "teilen" sich zumeist drei solcher Richter jeweils einen Geschäftsstellenleiter. Dies führt dazu, dass nicht nur Schreibarbeit liegen bleibt, sondern auch die Ausführung der richterlichen Verfügungen nicht so rasch geschehen kann. So kann das Schreiben der Protokolle und Urteile, welches zum Teil außer Haus erfolgt, nicht selten drei oder vier Wochen in Anspruch nehmen. Es ist daher verständlich, dass nicht nur eine Vermehrung der Richterposten, sondern auch eine Verbesserung der sonstigen Personalsituation auf der Wunschliste der Richterschaft ganz oben steht.

Parteien tragen vielzur Prozessdauer bei

Es ist allerdings wichtig zu betonen, dass auch die Parteien und deren Vertreter einiges zu einer Verkürzung der Prozessdauer beitragen könnten. Nicht selten erlebt man es als Klagevertreter, dass die beklagte Partei - oft auch aus wirtschaftlichen Gründen - an einer raschen Entscheidung gar nicht interessiert ist.

Beispiele dafür sind überbordende Schriftsätze mit allzu ausführlichen, oft für den Einzelfall gar nicht relevanten Rechtsausführungen und Entscheidungszitaten, das Werfen von literarischen "Nebelbomben" zur Verschleierung des tatsächlich relevanten Sachverhalts, sowie die verspätete Namhaftmachung von Zeugen oder die Stellung zwar prozessual zulässiger, aber das Verfahren letztlich extrem verzögernder Anträge.

Komplizierte Zuständigkeitsstreitigkeiten, die sich über Jahre hinziehen, können sogar dazu führen, dass ein Kläger selbst berechtigte Ansprüche lieber ungünstig vergleicht, als weitere Jahre auf eine Entscheidung zu warten. Erwähnt sei hier beispielsweise ein Fall der "Klags-Wanderung": Nach Einwendung der Unzuständigkeit durch den Beklagten ist die Rechtssache von einem Oberlandesgerichtssprengel in den anderen gekommen, schließlich aber über Antrag des Klägers wieder an das Ursprungs-Gericht zurückdelegiert worden, und zwar zwecks Verbindung mit einem anderen, parallel gelagerten Akt. Eben dieses Gericht brauchte dann Monate für die Entscheidung, ob die beiden, nunmehr beim selben Gericht anhängigen Verfahren wirklich miteinander verbunden werden sollten oder nicht.

Möglichkeiten zu mehr Effizienz vorhanden

Tatsächlich lässt schon die derzeitige österreichische Rechtslage etliche Möglichkeiten zur Verfahrensbeschleunigung zu, die in der Praxis allerdings nur in sehr bescheidenem Umfang genutzt werden. Theoretisch gehört dazu, Urteile mündlich zu verkünden (und dann nur gekürzt schriftlich auszufertigen) oder, wie erwähnt, gleichartige Prozesse zu verbinden, wenn dadurch voraussichtlich deren Erledigung vereinfacht oder beschleunigt oder der Aufwand für die Kosten der Prozessführung vermindert wird.

Ebenso wenig machen Gerichte von der Möglichkeit Gebrauch, verspätetes Vorbringen und verspätete Beweisanträge wegen Verschleppungsabsicht zurückzuweisen. Dasselbe gilt für eine Vielzahl anderer Möglichkeiten, wie etwa die raschere Abfolge von Tagsatzungsterminen, die sowohl dem Gericht als auch den Parteien ein umfangreiches Aktenstudium- wie es erforderlich ist, wenn zwischen den einzelnen Verhandlungsterminen mehr als ein halbes Jahr vergangen ist - ersparen würde oder für eine Vorziehung des Sachverständigenbeweises, wenn erkennbar ist, dass die dadurch zu lösende Frage prozessentscheidend sein wird und daher wohl auch die Vergleichsbereitschaft fördern dürfte.

Es muss also festgehalten werden, dass - auch und gerade aus anwaltlicher Sicht - sowohl Gerichte als auch die einschreitenden Anwälte eine Reihe von Möglichkeiten nutzen könnten, um die Verfahren effektiver zu gestalten.

Selbst die einfache Erörterung der anstehenden Rechtsfragen mit dem Verhandlungsrichter in der vorbereitenden Tagsatzung stellt oft einen zweckmäßigen und wichtigen Schritt dar, das Prozessprogramm gut zu strukturieren und Leerlauf zu vermeiden.

Zwar kann die Überlastung der Gerichte dadurch nicht ganz beseitigt werden, sie kann aber durch ein gemeinsames Bemühen der Richter und der Anwälte, alle Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung der Verfahren zu ergreifen, sicher wesentlich gemildert werden.

Über die Autorin:

Hon.-Prof. Dr. Irene Welser ist Rechtsanwältin und Managing Partnerin der Kanzlei CHSH Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati.