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Wenn es das Ziel der Regierungsbildung 2003 eine stabile Regierung war, dann ist dieses Ziel grandios verfehlt worden. Eine Regierung, die ständig vom Aufstand freiheitlicher Abgeordneter gegen die mit der FPÖ abgesprochene Politik bedroht ist, ist alles Mögliche, nur nicht stabil. Dieser Mangel brachte sogar den Bundesrat, dessen Problem sonst das Fehlen jedes öffentlichen Interesses ist, in das Scheinwerferlicht medialer Aufmerksamkeit.
Wenn es das Ziel der Opposition im ersten Halbjahr 2003 war, unter Nutzung der inneren Widersprüche der Regierung diese noch vor dem Sommer scheitern zu lassen, dann ist auch dieses Ziel verfehlt worden. Die Opposition hat zwar einiges dazu beigetragen, in der Pensionsfrage die Regierung zu Nachbesserungen zu zwingen und den Glanz des Finanzministers verblassen zu lassen - aber Neuwahlen im Frühherbst 2003 wird es nicht geben. Ein zweites Knittelfeld zeichnet sich nicht ab.
Nun ist Stabilität kein Primärwert einer Demokratie - Unterhaltung aber erst recht nicht. Der Zweiten Republik wurde lange Zeit vorgehalten, sie sei "überstabil" - also in Gefahr, an einem Mangel an Dynamik zu ersticken. Das freilich kann man dieser Regierung nicht vorwerfen. Für Entertainment aber ist diese Regierung immer gut. Dafür sorgt das Defizit an innerparteilicher Autorität des Vizekanzlers.
Die Regierung hat schwach begonnen ist noch schwächer geworden. Die Opposition hat aber daraus nur indirekt einen Nutzen ziehen können. Gewonnen hat - vielleicht - der ÖGB. Der war schon lange nicht so lebendig und so mobilisierungsfähig wie beim großen Streik vom 3. Juni. Doch auch der ÖGB konnte letztlich nicht verhindern, dass die Pensionsreform von der regierenden Mehrheit entschieden wird - und zu der zählt zwar der Vorsitzende der Gewerkschaft öffentlicher Dienst; aber eben nicht die ÖGB- Mehrheitsfraktion. Der bleibt ein Achtungserfolg - mehr aber wohl nicht.
Im Nationalrat erlebt die Opposition wieder einmal, dass der kontrollierenden Minderheit ein wesentliches Instrument fehlt, das anderswo (zum Beispiel in einigen Landtagen) selbstverständlich ist: Das Recht, einen Untersuchungsausschuss auch gegen den Willen der regierenden Mehrheit einzusetzen. Durch das Fehlen dieses Rechts wird die parlamentarische Kontrolle ad absurdum geführt: Die regierende Mehrheit kontrolliert sich selbst.
Diese Erkenntnis sollte vor allem der SPÖ zu denken geben. Bis 2000 war die SPÖ - als Regierungspartei - verantwortlich dafür, dass der Opposition dieses so entscheidende Kontrollinstrument verweigert wurde. Jetzt muss die Sozialdemokratie auf den harten Bänken der Opposition erleben, wie das ist, wenn die Geschäftsordnung des Nationalrates eine wirksame Kontrolle der Regierung nicht zulässt. Dass die FPÖ, die bis 2000 immer wieder verlangt hat, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu einem Minderheits- und damit zu einem Oppositionsrecht zu machen, als Regierungspartei auf eine solche Reform ganz locker vergisst, zeigt nur eines: Das Verständnis von Demokratie und Parlamentarismus ist davon abhängig, was einer Partei nutzt; und das ist wiederum davon abhängig, ob eine Partei in der Regierung oder ob sie in der Opposition ist.
Die Bilanz: Die Regierung hat überlebt - aber das ist auch schon alles, was sie an Erfolg verbuchen kann. Die Opposition hat auch überlebt - als Opposition. Und das ist schon gar kein Anlass zur Zufriedenheit.
Anton Pelinka ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck