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New York · Vor genau einem Jahr herrschte euphorische Stimmung vor dem Bezirksgericht in Brooklyn. Anwälte und Sammelkläger strahlten über den 1,25-Milliarden-Dollar-Vergleich mit Schweizer | Banken. Die Überlebenden warten indes noch immer auf Entschädigung.
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Am 12. August 1998 einigten sich in New York Vertreter der Schweizer Großbanken UBS und CS, von Sammelklägern und jüdischen Organisationen auf einen Vergleich, der einen Schlussstrich unter die
leidige Affäre der nachrichtenlosen Vermögen und des Nazi-Raubgoldhandels der Schweiz ziehen sollte.
Nach den Worten von Senator Alfonse D'Amato und Credit Suisse First Boston-Chef Bob O'Brien war es "der beste Schlussstrich, den man ziehen kann". Präsident Clinton begrüßte die Beilegung der
teilweise erbittert geführten Kontroverse ebenso wie sein Chef-Unterhändler Stuart Eizenstat als historischen Meilenstein.
Ein Meilenstein war es aus juristischer Sicht, da sind sich alle Beteiligten einig. Doch für Tausende von Holocaust-Überlebenden in aller Welt hat sich wenig bewegt. "Es ist noch kein einziger Dollar
verteilt worden. Das kommt dabei heraus, wenn man den Rechtsweg beschreitet", stellt Elan Steinberg, Exekutivdirektor des Jewish World Congress (WJC), fest.
Im Jänner wurde der Vertrag von allen Parteien unterschrieben. Ende Juni lief das Anmeldeverfahren (notification) an. Inserate in 108 Ländern und in 29 Sprachen fordern seither potenzielle
Anspruchsberechtigte auf, sich zu melden. Bis Ende Oktober haben sie Zeit, ihre Einwände einzubringen oder aus der Klasse der Sammelkläger auszuscheren (opt out).
Eine sogenannte Fairness-Anhörung Ende November wird über die Kommentare der Betroffenen informieren. Bis 28. Dezember will der vom Gericht ernannte Special Master Judah Grebitz einen Verteilungsplan
vorlegen, der nach Einschätzung von Anwalt Bob Swift nicht vor Mai 2000 verabschiedet werden wird. Mit tatsächlichen Auszahlungen ist nicht vor der zweiten Jahreshälfte 2000 zu rechnen.
"Wieso dauert das ganze so lange?" fragt Swift rhetorisch. "Weil kein Verteilungsplan von oben verfügt wurde, sondern alle Beteiligten schon vorher die Gelegenheit zur Mitsprache haben, um den
höchsten Grad an Fairness zu erzielen. Das ist ungewöhnlich für eine Sammelklage". "Wir haben Zehntausende von Anrufen erhalten, Tausende von Anfragen im Internet und per Post, das Antragsformular zu
verschicken", berichtet Anwalt Morris Ratner, der die Notifikation koordiniert. "Darunter sind nur ganz wenige Einwände oder Opt Outs."
Während die Opfer darauf warten, dass der Zug durch die Justizbürokratie abgeschlossen ist, wird ein Bruchteil der 1,25 Milliarden Dollar (1,168 Mrd. Euro/16,07 Mrd. Schilling) im Stillen ausbezahlt.
Gemäß dem Vergleich werden Entschädigungen, die die Volcker-Kommission leistet, gegen die Gesamtsumme angerechnet. Das gleiche gilt für individuelle Einigungen mit den Banken, die sich bislang auf
rund fünf Millionen Dollar summieren, schätzt Anwalt Swift.
Eine weitere Kontroverse steht dem Vergleich noch ins Haus. Swift und sein Anwaltskollege Ed Fagan wollen vor dem Hearing am 29. November bis zu zwei Prozent der Vergleichssumme, oder 25 Millionen
Dollar, als Gebühren für ihre Bemühungen beantragen. Richter Korman wird über die Summe entscheiden. Der WJC hat bereits angekündigt, Protest einzulegen.
Für WJC-Funktionär Steinberg ist der Vergleich indes · trotz aller Kontroversen · ein wichtiger Teil eines größeren Ganzen: "Im vergangenen Jahr hat ein Bewusstseinswandel stattgefunden · nicht nur
in der Schweiz, sondern in ganz Europa. Es herrscht ein gemeinsames Verständnis, dass in diesem letzten Kapitel der Geschichte des Zweiten Weltkriegs Gerechtigkeit walten muss."
Für Hunderte von Überlebenden des Holocaust kommt der Schweizer Bankenvergleich zu spät: Sie sind in der Zwischenzeit gestorben, ohne die späte Genugtuung einer Wiedergutmachung erhalten zu haben.
Ein Beispiel ist Estelle Sapir, eine der führenden Figuren der Sammelklage. Sie kämpfte jahrzehntelang für das Genfer Guthaben ihres Vaters. Im Mai 1998 einigte sie sich mit der Credit Suisse auf
eine unbekannte Summe. Als der Vergleich in Brooklyn bekannt gegeben wurde, stand die gebrechliche Rentnerin Arm in Arm mit Senator D'Amato vor den Kameras. Im April dieses Jahres starb Estelle Sapir
im Alter von 72 Jahren.