Während des Zweiten Weltkriegs stand ein Teil des Gebiets an der russisch-ukrainischen Grenze unter deutscher Herrschaft.
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Die Führung der KPdSU betrachtete das Donezbecken (ukrainisch Donezkyj bassejn, abgekürzt Donbass) seit den 1920er Jahren als zentrale Bergbau-, Industrie- und Modernisierungsregion der UdSSR. In wirtschaftlicher Hinsicht galt es als das "Herz Russlands". Das Donezbecken erstreckte sich als historische wirtschaftliche Region vom Ostzipfel des ukrainischen Oblasts (=Verwaltungsgebiet) Dnipropetrowsk über Teile der beiden Oblaste Donezk und Luhansk bis zum Westteil des heute russischen Oblasts Rostow. Mit den beiden heute Donbass genannten ukrainischen Oblasten Donezk und Luhansk ist es somit nicht identisch.
Vor dem Zweiten Weltkrieg bestanden hier 324 große Bergwerke und 1.680 Kleinbergbaue. 314.000 Kumpel förderten jährlich rund 85 Millionen Tonnen Steinkohle. Das entsprach fast 60 Prozent der sowjetischen Gesamtförderung. Fast ebenso bedeutend war der Anteil des Donbass an der sowjetischen Eisen- und Stahlerzeugung.
Als "Schaufenster des Sozialismus" war dem Donbass auch eine Vorreiterrolle bei der im Entstehen begriffenen "sozialistischen Gesellschaft" zugedacht. Zu deren Ikone wurde der Bergmann Alexei Stachanow, der während einer Schicht im August 1935 die vorgeschriebene Arbeitsnorm um das Vierzehnfache übererfüllte. Diese "Heldentat" war aber ebenso ein Produkt der Propaganda - ohne Hilfe der Kollegen wäre Stachanows Rekord unmöglich gewesen - wie die Losung vom Donbass als Wiege des "neuen Menschen".
Deutsche Invasion
Ein von der Historikerin Tanja Penter in der ersten Dekade unseres Jahrhunderts durchgeführtes Oral-History-Projekt beschrieb die damaligen Lebensverhältnisse der Menschen als elend. Die "von oben" forcierte Industrialisierung wurde als eine Zeit permanenten Mangels erlebt. Im Arbeitsalltag übten überhöhte Planvorgaben und andere Regulierungsmaßnahmen immensen Druck auf die Grubenleitungen und Bergarbeiter aus. Die aufgestaute Unzufriedenheit und die sozialen Spannungen entluden sich während des "Großen Terrors" 1937/38. Viele der den einfachen Bergmännern verhassten Ingenieure und Vorarbeiter wurden als "Volksfeinde" und "Saboteure" denunziert und fielen den "Säuberungen" zum Opfer. Mit 80.000 Getöteten war der Donbass davon stärker als alle anderen Gebiete der Ukraine betroffen.
Angesichts dieser Erfahrungen hielt sich das Entsetzen über den Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Grenzen. Bis Mitte Oktober 1941 hatten die deutsche 17. Armee und die 1. Panzerarmee gut die Hälfte des Donezbeckens erobert. Donezk, damals zu Ehren Stalins Stalino genannt und heute Hauptstadt der von Putin anerkannten gleichnamigen Separatistenrepublik, wurde von den Deutschen am 20. Oktober fast ohne Gegenwehr eingenommen. Das geht aus Zeitzeugenberichten und deutschen Quellen hervor. Keinerlei Probleme ergaben sich auch in der im gegenwärtigen Krieg so heftig umkämpften Stadt Mariupol. Im Gegensatz dazu weiß die sowjetische Geschichtsschreibung über den "Großen Vaterländischen Krieg", an die auch das heutige Russland wieder anknüpft, in Donezk von erbitterten Straßenkämpfen zu berichten. Erst am 26. Oktober 1941 sei die Stadt an die Deutschen gefallen. Sie hätten Verluste in Höhe von 50.000 Mann erlitten.
Die Wehrmacht erlangte rasch die Kontrolle über die rund 2,5 Millionen Einwohner, die im stark urbanisierten Donbass noch verblieben waren. Einerseits gelang es, von Anfang an eine ausreichende Kontrolle über die Städte auszuüben, andererseits wurde die Entstehung einer Partisanenbewegung durch das flache und waldlose Gelände gehemmt. Probleme für die Deutschen ergaben sich aber durch die im Winter 1941/42 erfolgten sowjetischen Gegenoffensiven. Letztlich wurde ein sowjetischer Durchbruch verhindert. Zeitweise war die militärische Lage aber dermaßen kritisch gewesen, dass sich sogar Hitler zu einem Besuch beim Oberkommando der 1. Panzerarmee in Mariupol veranlasst gesehen hatte. Am 2. Dezember 1941 hatte er sich dort persönlich ein Bild der Lage gemacht.
Nicht wenige Menschen hatten im multiethnischen Donbass mit der deutschen Besetzung anfangs Hoffnungen auf ein besseres Leben verbunden. Darum waren sie den Deutschen vielfach mit Neugierde und Wohlwollen begegnet. Deren brutale Herrschaftsmethoden sorgten aber rasch für Ernüchterung. Erich Koch, der als Reichskommissar jenem Teil der besetzten Ukraine vorstand, der eine deutsche Zivilverwaltung erhalten hatte, brachte im August 1942 die Rolle, die der Ukraine im deutschen Machtbereich zugedacht war, zum Ausdruck: "Die Ukraine hat das zu liefern, was Deutschland fehlt. [...] Für [uns] ... ist ... maßgebend, dass wir es mit einem Volk zu tun haben, das in jeder Hinsicht minderwertig ist ..."
Dementsprechend waren deutscherseits "rassenpolitische" Prämissen und "kriegsbedingte Notwendigkeiten" bei der Behandlung der Bevölkerung im Donbass ausschlaggebend. Die Wehrmacht, die den Donbass verwaltete, strebte die Versorgung der Truppe aus dem Land an. Zudem sollte ein Höchstmaß an Lebensmitteln zum Abtransport "ins Reich" bereitgestellt werden. Zu diesem Zweck gedachte man der Bevölkerung gegenüber eine "selektive Hungerstrategie" (Tanja Penter) anzuwenden. Vorgesehen war nur die Versorgung der Menschen in den Bergbau- und den landwirtschaftlichen Produktionsgebieten.
Völkermord
Die Bevölkerung der Städte, die quasi landwirtschaftliche "Zuschussgebiete" waren, sollte hingegen dem Hungertod preisgegeben werden. Dieser "Hungerplan" erwies sich als undurchführbar. Der wachsende Bedarf an Arbeitskräften vor Ort und - im Rahmen der Rekrutierung von 330.000 "Ostarbeitern und -arbeiterinnen" - für den "Einsatz im Reich" selbst, bedingte einen Richtungswechsel. Fortan waren von der "Hungerpolitik" primär die Nicht-Arbeitenden betroffen. Zehntausende Menschenleben waren bis dahin aber schon zu beklagen gewesen.
Wie überall war auch das Los der im Donbass verbliebenen Juden und Jüdinnen furchtbar. Hermann Hoth, dem Kommandeur der 17. Armee, galten sie als "die geistigen Stützen des Bolschewismus, die Zuträger seiner Mordorganisation, die Helfer der Partisanen". Ihre "Ausrottung" bezeichnete er als ein "Gebot der Selbsterhaltung". Bis Juni 1942 wurden mehrere Tausend Juden und Jüdinnen der vier im Donbass errichteten Ghettos Artemiwsk, Jenakijewe, Kramatorsk und Stalino getötet. Die 8.000 Menschen zählende jüdische Gemeinde in Mariupol war bereits im Oktober 1941 vollständig ausgelöscht worden.
Ein primäres Ziel der deutschen Kriegswirtschaft war die Ausbeutung der Steinkohlevorkommen. Daran war zunächst aber nicht zu denken. Die Sowjets hatten die Bergwerke vor ihrem Abzug großflächig zerstört. Für den Wiederaufbau wurden Geräte und Maschinen im Wert von 25 Millionen Reichsmark antransportiert. 1.800 deutsche Fachkräfte, vorwiegend aus dem Ruhrbergbau, wurden in den Donbass beordert. Essenziell war auch die Mithilfe einheimischer Industriekader. Nicht wenige Ingenieure und Techniker stellten sich - den anderslautenden sowjetischen Nachkriegsmythen zum Trotz - freiwillig in den Dienst der Deutschen. Ohne ihre Expertise wäre der Wiederaufbau zahlreicher Bergwerke kaum möglich gewesen.
Am 28. Juni 1942, dem Tag des Beginns der deutschen Sommeroffensive, schaltete sich selbst Adolf Hitler mit einem "Führererlass" in den Wiederaufbau der Bergwerke ein. Darin wurde "[d]er schnelle Wiederaufbau der Kohlenförderung im Donezgebiet [als] eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Weiterführung der Operationen im Osten" bezeichnet. Hitler ordnete an, dafür bis September 60.000 russische Kriegsgefangene abzustellen. Sie sollten hinsichtlich der Verpflegung den russischen Hilfskräften der Wehrmacht gleichgestellt werden. Die neue Verpflegungsrichtlinie kam jedoch für viele Kriegsgefangene zu spät. Bis Ende September konnten nur 39.000 Mann mobilisiert werden. Wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes war kaum mehr als die Hälfte von ihnen zur Arbeit einsetzbar.
Schon Ende 1942 hatte sich ihre Zahl auf 8.200 reduziert; und im März 1943 waren sie nahezu völlig "verschwunden". Die Ursache dafür lag an der extremen Unterernährung in den Kriegsgefangenenlagern. Im zentralen Lager in Stalino, das stets 10.000 bis 15.000 Insassen hatte, herrschten entsetzliche Zustände. Ein Überlebender berichtete, dass im Winter zum Heizen der Baracken, die bis zu 1.000 Menschen fassten, pro Tag nur fünf Kilogramm Kohle ausgegeben wurden. Die "Kost" bestand häufig nur aus einer "Suppe", der Sägemehl beigegeben wurde. Alle diese Faktoren sorgten dafür, dass im Lager bis zu 200 Menschen täglich starben. 150.000 Kriegsgefangene sollen während der deutschen Herrschaft im Gebiet Stalino umgekommen sein.
Enttäuschte Hoffnung
Bis Ende 1942 gelang die Wiederinbetriebnahme von 68 Bergwerken und 314 Kleinschächten. Die durchschnittliche Tagesförderung betrug aber nie mehr als 15.000 Tonnen. Aufgerechnet auf die gesamte Besatzungszeit entsprach das gerade einmal fünf Prozent der jährlichen sowjetischen Vorkriegsförderung.
Die Zeit bis zur Rückeroberung des Donbass durch die Rote Armee im September 1943 war für die Menschen von einem permanenten Überlebenskampf gekennzeichnet. Im Verhalten gegenüber den Deutschen bewegten sie sich zumeist in einer "Grauzone" zwischen Kooperation und passivem Widerstand. Dabei waren ihre Alltagserfahrungen durch ein hohes Maß an Kontinuität gekennzeichnet. Mangel, Terror, Zwangsarbeit und die eingeschränkte persönliche Freiheit hatten sie bereits im Sowjetsystem erfahren.
Deutlich bessere Überlebenschancen hatten hingegen jene "Volksdeutschen" und Ukrainer, die sich von den Deutschen zur aktiven "Mitarbeit" hatten ermuntern lassen.Nicht wenige von ihnen werden unter den 34.000 Personen gewesen sein, die Anfang September 1943 aus dem Gebiet um Stalino von der Wehrmacht "evakuiert" wurden. Bei ihrem Rückzug wandte diesmal auch die Wehrmacht die Taktik der "verbrannten Erde" an. Alle der Roten Armee für die weitere Kriegsführung dienlichen Güter und Anlagen wurden weggeschafft oder vernichtet. Die Hoffnungen der Zurückgebliebenen, nun endlich ein besseres Leben führen zu können, wurden von den Sowjets aber einmal mehr enttäuscht.
Alle, die unter deutscher Besatzung gelebt hatten, standen unter dem Generalverdacht der Kollaboration. Viele von ihnen wurden zu langen Haftstrafen verurteilt und mussten noch Jahrzehnte mit Stigmatisierungen und beruflichen Diskriminierungen leben - ein überaus grausames Schicksal für diese Menschen, deren einziges "Verbrechen" darin bestanden hatte, nicht geflüchtet zu sein.
Gerald Wolf lebt und arbeitet als Historiker und Lehrer in Wien.