Zum Hauptinhalt springen

Überraschung, Überraschung!

Von Erhard Fürst

Gastkommentare

In der Ökonomie gibt es das "t.i.n.s.t.a.a.f.l."-Prinzip, das für "there is no such thing as a free lunch" steht; anders ausgedrückt, jede wirtschaftspolitische Maßnahme hat auch Kosten, entscheidend ist, was sich unter dem Strich ergibt. Ergänzt um die Tatsache, dass nahezu alle volkswirtschaftlichen Größen miteinander im Zusammenhang stehen und einander gegenseitig beeinflussen, ist es mehr als überraschend, was alles für die Politik überraschend ist. Beispiele gefällig?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Da werden die großen Chancen betont, die die dynamisch wachsenden Märkte Chinas und Indiens für die Unternehmen in den Industriestaaten bieten. Und dann stellt sich "überraschend" heraus, dass diese wirtschaftliche Dynamik mit einer kräftig steigenden und daher preistreibenden Nachfrage nach Rohstoffen und Energie und einer drastisch zunehmenden Umweltbelastung verbunden ist.

Da liefern dramatisierende Klimastudien Argumente für überambitionierte Treibgasreduzierungen, um nachher mit Überraschung festzustellen, dass erstens diese Ziele massiv verfehlt wurden, und zweitens die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen zumindest auf mittlere Sicht Wachstum und Beschäftigung kostet, persönlichen Komfort reduziert und daher von den Wählern nur wenig goutiert wird. Und für uns schrullige Österreicher kommt noch als besondere Überraschung hinzu, dass der Kampf gegen CO 2 - Emissionen zu einer Renaissance der Atomenergie führt.

Da setzen die Klimastrategien der Industriestaaten massiv auf subventionierte Bioenergie und Biotreibstoffe. Und ganz überraschend bewirkt dies eine Ausweitung des Anbaus von Energiepflanzen zu Lasten der Nahrungsmittel- und Futterpflanzungen und damit eine Verteuerung dieser Produkte, die Entstehung riesiger Monokulturen und eine Rodung klimapolitisch wichtiger Wälder.

Da sagen alle seriösen Bevölkerungsprognosen einen Anstieg der Weltbevölkerung von gegenwärtig etwa 6,5 Milliarden Menschen auf rund 9 Milliarden zur Mitte des Jahrhunderts voraus. Und dennoch wehren wir uns gegen die "überraschende" Erkenntnis, dass eine Bevölkerung dieser Größenordnung angesichts des tendenziellen Rückgangs der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen und des rasch steigenden Fleischkonsums nur durch einen massiven Einsatz der Gentechnik ernährt werden kann.

Das einzig wirklich Überraschende ist, dass hunderte von Think tanks und Wirtschaftsforschungsinstituten diese relativ einfachen Zusammenhänge nicht vorausschauend erkennen. Liegt es an der Spezialisierung der Wirtschaftswissenschaften, dass ganzheitliche Analysen Mangelware sind, oder haben vielleicht die - meist öffentlichen - Auftraggeber gar kein Interesse an einer umfassenden Problemsicht?

Erhard Fürst war viele Jahre Leiter der Abteilung Industriepolitik und Wirtschaft in der Industriellenvereinigung.

gastkommentar@wienerzeitung.at