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Übersetzungsfehler

Von Hermann Schlösser

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"Ich habe alles verloren", berichtete der Mann aus Sri Lanka, "ich muss völlig neu beginnen!" Während er das sagte, lächelte er und strahlte Mut und Zuversicht aus.

Diese Szene war am Sonntagabend im "Weltspiegel" (ARD) zu sehen. Der Reporter Armin Paul Hampel kommentierte den Mut des Tsunami-Opfers mit dem Satz: "Seine Worte strafen den Optimismus seines Gesichtsausdrucks Lügen." Hätte Hampel gesagt: "Sein Gesichtsausdruck zeigt, dass der Mann die Kraft hat, mit der Katastrophe fertig zu werden", wäre ein anderer - und womöglich zutreffenderer - Eindruck entstanden.

Im selben Bericht wurde eine christliche Kirche gezeigt, die den Ansturm der Wellen unversehrt überstanden hat. Mehr als hundert Menschen hatten am Tag der Katastrophe hier einen Gottesdienst besucht. Hätte er nur eine halbe Stunde länger gedauert, wären sie unversehrt geblieben. So aber waren sie schon in ihre Häuser heimgekehrt, was für die meisten den Tod bedeutete.

Ein überlebender alter Mann berichtete vom Geschehen. Dabei fiel ein Satz, den der Reporter mit den Worten wiedergab: "Gott hat uns getestet." Man musste die Sprache des alten Mannes nicht verstehen, um den Übersetzungsfehler des Reporters zu erkennen: Dass Gott nicht "testet", sondern "prüft", weiß jeder christlich Erzogene. Den TV-Reporter schien das nicht zu kümmern. Dem alten Mann aus Sri Lanka jedoch traute man dieses Wissen durchaus zu.