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Überwachung rund um die Uhr in Großbritannien

Von Christoph Sator

Europaarchiv

Der Durchschnitts-Brite wird täglich 300 Mal von Kameras erfasst. | London. (dpa) Warum sollte es Winston Churchill besser ergehen als seinen Landsleuten? Rund um die Uhr wird der legendäre britische Premierminister (1874-1965), wie er vor dem Parlamentsgebäude in London zum Denkmal geworden ist, gefilmt. Der massige Mann aus schwarzem Stein befindet sich im Visier von nicht weniger als 17 Überwachungskameras, wie Datenschützer kürzlich gezählt haben. Ein Zustand, der den mehr als 60 Millionen Menschen, die heute in Großbritannien leben, durchaus bekannt vorkommt.


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Nirgendwo anders in Europa stehen die Einwohner so sehr unter Kontrolle wie im Vereinigten Königreich. Insgesamt sind auf der Insel rund 4,2 Millionen staatliche und private Überwachungskameras installiert. Auf dem Weg zur Arbeit, im Kaufhaus oder in der Mittagspause wird der Durchschnitts-Brite jeden Tag rund 300 Mal erfasst. Zudem werden täglich die Kennzeichen von 35 Millionen Autos registriert - sei es, um Staus zu vermeiden, Diebstähle zu verhindern oder die Bezahlung der City-Maut in London zu kontrollieren.

"Big-Brother"-Staat

Damit aber nicht genug: In der nationalen DNA-Datenbank sind bereits die genetischen Daten von 3,5 Millionen Menschen gespeichert. Zugleich verfügen die Behörden über die Fingerabdrücke von rund sechs Millionen Menschen. Darüber hinaus hat jeder zweite erwachsene Brite - freiwillig - eine Kundenkarte in der Geldbörse, mit der seine Einkaufsgewohnheiten nachvollzogen werden können. Die Zahlen veröffentlichte die Expertengruppe Surveillances Studies Network (SSN) in einer Studie.

Die Zeitung "Daily Telegraph" kam bereits zu dem Schluss, dass Großbritannien tatsächlich zum "Big-Brother-Staat" geworden sei, 22 Jahre nach dem magischen Datum "1984", das George Orwell einst in seinem gleichnamigen Zukunftsroman in Form eines Überwachungsstaates beschrieben hatte. Der britische Datenschutzbeauftragte Richard Thomas, der die SSN-Studie in Auftrag gegeben hatte, meinte: "Vor zwei Jahren habe ich gewarnt, dass wir uns schlafwandelnd auf dem Weg in eine Überwachungsgesellschaft befinden. Jetzt sind wir beim Aufwachen davon umgeben."

Doch auch die strengsten Datenschützer bestreiten nicht, dass die Überwachungskameras sinnvoll sein können. Beispielsweise wurde die Terror-Serie im Londoner Nahverkehrssystem vom 7. Juli 2005 damit zwar nicht verhindert, aber zumindest rasch aufgeklärt. "Überwachung kann nützlich und wünschenswert sein", sagt Thomas. Auf Dauer führe dies jedoch zu einem "Klima des Verdachts". Trotzdem haben sich die Briten anscheinend an die Kontrolle gewöhnt. Größere Proteste dagegen gibt es nämlich kaum.