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Ude sieht SPD in schwierigster Situation seit Jahrzehnten

Von Veronika Gasser, Salzburg

Politik

Die Situation der SPD war seit Jahrzehnten nicht so schwierig wie jetzt. Dieses bittere Resümee zieht der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude im Interview mit der "Wiener Zeitung" über seine eigene Partei. Und die Unionsparteien (CDU/CSU) verspürten einen enormen Auftrieb, das sei der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel ins Gesicht geschrieben.


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Seit der Wahl im SPD-Stammland Nordrhein-Westfahlen ist Trauerstimmung für die Regierungspartei im ganzen Land angesagt. War die politische Situation schon davor schwierig, so ist sie seither trist.

Die Gerüchte um den vorzeitigen Rücktritt Schröders hielt der Münchner von Beginn an für substanzlos. Er vermutet, dass es sich dabei um eine gezielte Desinformation gegen den Kanzler gehandelt hat.

Wenig hält Ude von überstürzten Aktionen oder Personalrochaden. "Ein neues Gesicht im Wahlkampf kann binnen weniger Wochen keine neue SPD herbeizaubern". Auch werde das Wählerurteil über die Regierungspolitik gefällt unabhängig davon, was an Programmen und Kandidaten präsentiert werde. Eine Prognose über den Ausgang der vorgezogenen Wahl im September will er nicht abgeben. "Die Situation ist schwierig, doch sie kann wieder umschlagen. Auch die Union hat mit großen Problemen zu kämpfen".

Harsche Kritik hagelt es für den bayerischen Landesvater Edmund Stoiber. Er habe sich zwar für die Bundeswahlen aufstellen lassen, aber halte sich bedeckt, ob er nach Berlin gehen will oder in Bayern bleibt. Außerdem hätte die Union in wichtigen Fragen wie der Gesundheitsreform, der Steuer- und Rentenpolitik noch kein Konzept.

Ude übt sich in Zweckoptimismus: "Als gelerntes SPD-Mitglied setze ich auf das Prinzip Hoffnung, das stand schon an der Wiege unserer Partei."

Selbstkritische Töne

Dass die von SPD-Fraktionschef Franz Müntefering angezettelte Kapitalismuskritik die Partei beschädigt habe, glaubt Ude nicht. "Sie hat weder geschadet noch genutzt. Sie spricht aber unseren Stammwählern sicher aus dem Herzen". Doch Ude spart nicht mit scharfer Kritik an der eigenen Führung. Für problematisch hält er, dass den kritischen Worten bisher keine Taten gefolgt sind. Die von Müntefering als Heuschrecken titulierten Großkonzerne anzuprangern, selbst aber rigoros zu privatisieren und die Konzerne dann noch steuerlich zu begünstigen hält der Bürgermeister für einen "eklatanten Widerspruch". Es sei extrem unklug, weitere Steuergeschenke an Großunternehmen zu verteilen, anstatt die sozialen Härten von Hartz IV abzumildern. "Wir müssen mehr Augenmerk auf den sozialen Ausgleich legen", so Udes Überzeugung.

Einem neuen Linksbündnis unter der Führung von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi gibt der Münchner Bürgermeister keine dauerhafte Zukunft. Dazu sei die PDS zu stark belastet und die westlichen Partner zu chaotisch. Doch jedes Prozent, das die neuen Linken gewinnen, fehle der SPD und sei damit eines zu viel für das Bündnis.

Optimale Chancen, bei den Wahlen gut davonzukommen, hätten die Grünen. Sie haben ihren Anteil an der Regierungsarbeit immer selbstbewusst verkaufen können. Außer der Visa-Affäre, in die Außenminister Joschka Fischer verwickelt war, wären alle Grün-Politiker unbeschadet geblieben. Ude glaubt, dass die Grünen die Mandate halten können oder sogar von der Angst vor einer Großen Koalition profitieren.

Die Zukunft einer solchen Konstellation sieht er äußerst kritisch: "Eine Große Koalition ist immer janusköpfig". Ein enormer Nachteil sei das Anwachsen der linken und rechten Ränder sowie das Einschlafen der parlamentarischen Debatte. Ihr Vorteil: tiefgreifende Reformen und Einschnitte können umgesetzt werden, was angesichts des föderalen Systems sonst nur schwer möglich ist.

Misere der deutschen Städte

Der Sozialdemokrat Christian Ude ist seit 2. Juni Präsident des deutschen Städtetags. Als solcher ist er der Robin Hood der Städte. "Die Finanzmisere darf nicht größer werden", lautet seine nicht eben aufmunternde Botschaft. Unzufrieden war er schon damit, wie die Regierung die Kommunen behandelt hat, aber im Bundestag wurde der Angriff auf die Gewerbesteuer wieder repariert. Somit sei er versöhnt. Doch in Form der Union drohe den Städten neues Ungemach. Diese wolle die Gewerbesteuer mit einem Volumen von 28 Mrd. Euro abschaffen, ohne gleichwertigen Ersatz zu bieten.

Außerdem sollen, geht es nach dem Willen der CDU, den Kommunen die Lasten der Langzeitarbeitslosen umgehängt werden. Doch da könnten die deutschen Städte nicht mehr mitmachen, zu stark hätten sie die Einnahmenausfälle durch die letzte Steuerreform getroffen. In dieser Causa stünden die Bürgermeister aller Fraktionen zusammen. Die CDU-Bürgermeister forderten Unions-Kanzlerkandidatin Merkel bereits auf, den Retourgang einzulegen.

Die Lage der Städte werde sich nur verbessern, wenn die Konjunktur anspringt. Das sei beim Export längst passiert, derzeit gebe es das gespannte Warten auf die Belebung der Inlandsnachfrage. Dieses Szenario gelte allerdings, so Ude, nur für die westdeutschen Städte sowie Dresden und Leipzig, die als einzige Städte des Ostens von der absoluten Tristesse bewahrt wurden.

Bei den übrigen Städten der ehemaligen DDR hat er wenig Hoffnung, dass es bald ein Entkommen aus dem Jammertal gibt. "Es wird noch 10 bis 15 Jahre dauern, bis es im Osten wieder einen richtigen Aufschwung gibt".