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Uexküll: "Gletscher verhandeln nicht"

Von WZ-Korrespondent Ritt Goldstein

Politik

"Wir sind grundsätzlich in eine falsche Richtung gegangen." | "Investitionen in erneuerbare Energie schaffen wirklichen Reichtum." | London. Anfang Juni hielt Jakob von Uexküll das deutsche Bundesverdienstkreuz in Händen. Die Auszeichnung wurde dem deutsch-schwedischen Humanisten dort überreicht, wo er lebt - in London. Die Ehrung ist eine Anerkennung für das Engagement, mit der Uexküll zwei Institutionen aufgebaut hat, die neue Wege erkunden sollen, um globale Probleme zu lösen - den Weltzukunftsrat und den Alternativen Nobelpreis.


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Er habe sein Leben der Schaffung eines gesunden Planeten für künftige Generationen gewidmet, sagt Uexküll in einem Gespräch, mit der "Wiener Zeitung". Derzeit beschäftigt ihn natürlich vor allem die globale Wirtschaftskrise. "Wenn die Kirche oder der Staat alle Ebenen der Gesellschaft und des Lebens kontrollieren würden, dann würden wir dies als totalitär oder, im Fall der Kirche als theokratisch definieren. Aber wenn die Wirtschaft alle Bereiche unseres Lebens beherrscht, glauben wir, dass das den Höhepunkt an Freiheit und Demokratie darstellt. Aber viele Leute spüren, dass das nicht stimmt", sagt Uexküll. Das wirklich Gefährliche aber sei unser Umgang mit dem Planet Erde, denn: "Man kann zwischen Schuldnern und Gläubigern vermitteln, aber man kann nicht mit schmelzenden Gletschern verhandeln."

Der aus Hamburg stammende Ex-EU-Abgeordnete erinnert an seine Anregung vor zehn Jahren, dass es ein "UN-Treuhandschaftsgremium für globale Güter" geben sollte. "Damals war die Welt nicht dafür bereit, jetzt ist sie es", sagt er selbstbewusst. Investitionen in konkrete globale Verbesserungen wie sauberes Wasser oder erneuerbare Energie hätten Arbeit statt Inflation zur Folge, weil sie "wirklichen Reichtum" erzeugen würden und nicht nur inhaltsleere Profite aus dem Wettbewerb "Geld gegen Geld", wie das bei der Spekulationsblase der Fall gewesen sei. Zu den Ursachen der Wirtschaftskrise sagt Uexküll, dass die Konservativen "ein bisschen naiv" seien, weil sie glaubten, dass die Märkte von alleine funktionierten. "Die Geschichte zeigt, dass dem nicht so ist." Man müsse für Markt und Finanzsystem "immer einen Rahmen herstellen". Wichtiger sei es, "wer diesen Rahmen gibt und in wessen Interesse er aufgestellt wird".

Hinsichtlich der Finanzmittel, die eine globale Umstellung auf eine wirklich nachhaltige Wirtschaft erfordern würde, glaubt er, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) "die Regeln für Sonderziehungsrechte ändern und sie frei von Interessen stellen könnte". Der IWF teilt seit 1969 diese Rechte, wenn notwendig, als Ergänzung der bestehenden Währungsreserven den einzelnen Ländern zu, um mehr Liquidität zu schaffen. Sie sind eine künstliche Währungseinheit, die einzelnen Ländern vom IWF zugeteilt und nicht auf den Devisenmärkten gehandelt wird.

Was die reichen Nationen betrifft, so verweist Uexküll auf existierende Handlungsspielräume, wie der US-Schwenk in Richtung erneuerbare Energie zeige. Denn diese Umstellung sei laut Al Gore möglich, ohne dass zusätzliche Kosten entstünden. "Bis jetzt hat man die Leute glauben gemacht, dass sie es sind, die dafür mit ihren Steuern aufkommen müssen. Nach dem Motto: "Ihr nehmt es uns weg und gebt es den Armen in Afrika". Aber das sei nicht der Fall. "99 Prozent der Menschen", beklagt Uexküll, würden "ohne eigene Schuld nichts von Geld verstehen und deshalb die zahlreichen Alternativen nicht kennen."

Wenig verwunderlich ist, dass Uexküll die Finanzmärkte mit ihren Derivaten und anderen "giftigen" Investitionen verurteilt. Schließlich seien sie es gewesen, die das Wirtschafts-Chaos herbeigeführt hätten. Eines der Hauptprobleme bei der Neuordnung der Wirtschaft sei, dass diejenigen, die in den letzten Jahren mit fragwürdigen Spekulationsgeschäften zu tun hatten, an der Macht blieben: "Es wäre ziemlich naiv zu glauben, dass diese Menschen nun freiwillig mit einer Lösung daherkommen", warnt Uexküll.

Auch wenn er US-Präsident Barack Obama unterstützt, so merkt er doch an, dass die USA nach George W. Bush "nicht jene Revolution hatten", die Franklin D. Roosevelt 1933 zustande brachte. "Roosevelt kam mit einem neuen Mandat und niemand wusste, was er vorhat. Trotzdem, so Uexküll, brauchte auch Roosevelt seine Zeit, schließlich gelang ihm der Wandel.

"Wir sind grundsätzlich in eine falsche Richtung gegangen", sagt Uexküll. Eine nachhaltige Gesellschaft aufzubauen bedeute aber nicht, "dass wir jetzt alles aufgeben und in Armut leben müssen." Es ginge nur darum, "dass wir es uns nicht leisten können, bestimmte Prioritäten zu vernachlässigen".