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Ukraine: Die wahren Wahlsieger

Von Peter Muzik

Europaarchiv

Superreiche haben die Politik und den Präsidenten im Griff. | Ihr Einfluss wird wohl noch steigen. | Ihre Vermögen schmelzen durch die Wirtschaftskrise. | Sein Sieg in der zweiten Runde des Wahl-Krimis stand schon am frühen Abend fest. Der Hüne Viktor Janukowitsch empfing im Kiewer "Intercontinental" die ersten Gratulanten - nicht zufällig in der Präsidenten-Suite. Der ehemalige Boxer, der auch in der Stunde des Triumphs hölzern wie immer wirkte, feierte in dieser Nacht bevorzugt mit finanzkräftigen Förderern. Der Großindustrielle Rinat Achmetow, der ihn seit vielen Jahren unterstützt, war erschienen, der kunstsinnige Milliardär Viktor Pintschuk machte die Aufwartung, und auch der Auftritt von Konzernboss Igor Kolomoysky ist der wartenden Journalisten-Schar nicht entgangen.


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Spätestens seit Julia Timoschenko vorige Woche ihre Niederlage hinnahm und die Klage wegen möglicher Wahlfälschung zurückzog, steht fest, dass die orange Revolution Geschichte ist und in der Ukraine eine neue politische Ära beginnt. Primär ist das dem vermögenden Trio zuzuschreiben, das Janukowitsch mit finanzieller Unterstützung zum Sieg verhalf und zugleich seine eigene Zukunft absichern konnte. Der neue Präsident, der zwar als Russland-freundlich gilt, wird von den pro-westlich eingestellten Ost-Kapitalisten als verlässlicher Partner eingeschätzt.

Die drei Oligarchen sind die mancherorts bewunderten, häufig aber auch gefürchteten Megastars in der Wirtschaftselite des Landes. Die 50 reichsten Ukrainer haben zwar laut Wochenmagazin "Korrespondent" innerhalb eines Jahres auf Grund dramatisch eingebrochener Aktienkurse etwa 75 Prozent ihres Vermögens verloren - ihr starker Einfluss auf Politik und Staatsapparat ist aber nach wie vor intakt. Die rapid geschrumpfte Marktkapitalisierung beispielsweise der metallurgischen Betriebe oder der Bergbau-Unternehmen brachte es mit sich, dass die Superreichen Mitte 2009 nur noch 29 Milliarden Dollar schwer gewesen sein sollen. So viel hatte Achmetow vor zwei Jahren gemäß Ranking der US-Zeitschrift "Forbes" allein besessen.

Damit sie künftig nicht noch ärger in die Bredouille schlittern, war es Zeit zu handeln: Die ukrainischen Tycoons, die stets bei verschiedenen Parteien mitzumischen pflegten, einigten sich mehrheitlich darauf, Janukowitsch ins Präsidentenamt zu hieven.

Manche von ihnen haben nämlich die unberechenbare Premierministerin Timoschenko endgültig satt - allen voran Achmetow: Ihm ist im Juni 2004 ein dubioser Deal gelungen, als er sich gemeinsam mit Pintschuk den staatlichen Stahlkonzern Kryvorizhstal für 800 Millionen Dollar unter den Nagel riss, obwohl ein internationales Konsortium das Dreifache geboten hätte. Der orange Revolutionär Viktor Juschtschenko und seine Regierungschefin machten allerdings die Privatisierung rückgängig.

Im April 2005 wurde der Verkauf vom Gericht für ungültig erklärt, und das Unternehmen ging für die sechsfache Summe an das indische Unternehmen Mittal Steel.

Die wilde Julia T.hat Geldhaie frustriert

Timoschenko startete obendrein einen populistischen Rachefeldzug gegen die Reichen, deren angeblich krumme Machenschaften sie aufzudecken versprach. Dabei spielte sie beispielsweise dem Gaszwischenhändler Dmytro Firtash übel mit, den sie aus dem Business zu drängen und total abzumontieren versuchte. Auch Igor Kolomoysky frustrierte sie so sehr, dass sich ihr einstiger Bewunderer dem gegnerischen Lager anschloss. Der stämmige, zwar gemütlich wirkende, aber als beinhart geltende Boss des Öl- und Finanzimperiums "Privat" will künftig, so wie seine Kollegen, unbehelligt von politischen Störmanövern mit Profiten jonglieren können.

Rinat Achmetow, der 2008 mit einem geschätzten Vermögen von 31 Milliarden Dollar noch als reichster Mann Osteuropas gefeiert wurde, spielt die zentrale Rolle im brutalen Machtpoker. Nach wie vor gilt der Stahlmagnat als mächtigster Ukrainer. Der 43-Jährige besitzt Hochöfen, Röhrenwerke, Medienfirmen, ein Fünf-Stern-Hotel, eine Brauerei, eine Telefongesellschaft und den Fußballklub Schachtjor Donezk. Seine Holding "System Capital Management" (SCM) ist mit einem Umsatz von 16 Milliarden Dollar die führende ukrainische Finanz- und Industriegruppe.

Achmetow, der in rund 100 Unternehmen mehr als 150.000 Mitarbeiter beschäftigt, ist seit Jahren Abgeordneter der mandatstärksten "Partei der Regionen" von Viktor Janukowitsch. Obwohl er sich im Parlament höchst selten zeigt - dafür erübrigt er für den von ihm gesponserten Kickerverein mehr Zeit -, ist er überzeugt: "Wäre ich nicht Abgeordneter, hätte es in der Ukraine keine Wirtschaftsreformen gegeben."

Die ukrainischen Superreichen treten - obwohl bisweilen Konkurrenten - in den Städten Donezk, Kiew und Dnipropetrovsk längst als Clans auf und haben das Land, wie der Kiewer Politologe Dimitri Wydrin es formuliert, in eine "Monetokratie" verwandelt: Sie sind mehrheitlich noch relativ jung - zumeist zwischen 40 und 50 -, stammen großteils aus einfachen Verhältnissen und haben mehrheitlich eine dubiose Vergangenheit am Rande der Kriminalität hinter sich. In den Neunzigerjahren, in der postkommunistischen Ukraine, schafften sie es bei der Privatisierung von Staatsbetrieben auf weitgehend undurchsichtige Weise rasch zu beträchtlichen Vermögen zu kommen.

Auch wenn ihre Heimat wirtschaftlich schwer angeschlagen ist, genießen sie ihren privilegierten Status in vollen Zügen: Sie umgeben sich gerne mit sämtlichen Insignien des Reichtums - stämmigen Leibwächtern, gepanzerten Limousinen, protzigen Villen in ausländischen Nobelgegenden, Yachten und sündteuren Privatjets. Das politische System, das seit jeher von Korruption und eisernen Seilschaften zwischen Wirtschaft und Politik geprägt ist, macht es ihnen - problemloser als in jedem anderen Land der Welt - sogar möglich, ihr Machtstreben auch in der Volksvertretung auszuleben.

Abgesehen von Achmetow mischen derzeit in der Werchowna Rada, dem Parlament, noch zwölf weitere Oligarchen höchstpersönlich als Abgeordnete mit. Der Stahlwerkbesitzer Vasil Kmelnitzky, der Chemietycoon Mikola Jankovsky und der Hausgerätefabrikant Valentin Landik etwa sind allesamt Repräsentanten der mandatsstärksten "Partei der Regionen". Diese stellte beispielsweise auch für den erst 28jährigen Janukowitsch-Sohn ein solches Amt bereit.

Timoschenko wiederum hatte dem Finanzprofi Alexander Buriak, dem auf Stahl und Maschinenbau fixierten Konstantin Schewago und dem Autohändler Tariel Vasadze zur politischen Karriere verholfen. Der Nahrungsmittelhersteller Alexander Slobodjan sowie David Schwanija indes, langjähriger Spitzenmanager und Sammler von Luxusschlitten, warfen sich zunächst für den Juschtschenko-Block "Unsere Ukraine" in die Bresche. Mit Letzterem hat sich der gescheiterte Präsident allerdings schrecklich zerkracht - sogar die Mitschuld an dem Dioxin-Attentat wollte er seinem einstigen Finanzier in die Schuhe schieben. Übrigens: Er hatte Schwanija seinerzeit zum Minister für Ausnahmesituationen gemacht.

Manche Finanzhaie, die lieber im Hintergrund agieren, verzichten auf die politische Funktion, verhelfen jedoch gerne ihren Managern oder sonstigen Vertrauten zu politischen Topjobs: So etwa haben es ein ehemaliger Chauffeur eines Tycoons oder der Sicherheitschef eines anderen zu Abgeordneten der "Partei der Regionen" gebracht, wo sie sich primär als Lobbyisten ihres jeweiligen Förderers betätigen.

Die Mächtigenmachen Meinung

So wichtig es den Oligarchen ist, an den politischen Schalthebeln zu sitzen - der Multimillionär und Ex-Wirtschaftsminister Sergej Tigipko hat sogar beste Chancen, nächster Premierminister zu werden -, so sehr geht es ihnen auch um einen starken Einfluss auf die Meinungsbildung. Viele der ukrainischen TV- und Printmedien befinden sich längst im Eigentum eines Finanz-Zampanos: Pintschuk besitzt die Fernsehsender "ICTV", "Nowij Kanal", "STB" und "M1" sowie die Zeitung "Fakty i kommentari". Achmetow ist Eigentümer des TV-Programms "Ukraina" und der Tageszeitung "Segodnya".

Der gerne als "Schokoladenkönig" apostrophierte Petro Poroschenko wiederum ist Inhaber des "5. Kanals", Valeri Koroschkovsky Aktionär des landesweit größten Senders "Inter" und eines Rudels weiterer Stationen, und vor ein paar Wochen hat Igor Kolomoysky den Sender "1+1" von der 1994 vom US-Investor Ronald Lauder gegründeten European Media Enterprises zur Gänze übernommen.

Kolomoysky, der wohl quirligste ukrainische Oligarch, möchte gerade drei ukrainische Fluggesellschaften, die von seiner "Privat"-Gruppe kontrolliert werden, fusionieren. Er erwartet angesichts der neuen politischen Lage, dass ihm die Antimonopolkommission keinerlei Troubles bereiten wird - auch wenn im Hinblick auf fast 50 Prozent Marktanteil die Monopolisierung der Branche zu befürchten ist.

Wer in Kiew gerade "in" istRinat Achmetow, 43, spielt beim Donezker Oligarchen-Clan die Hauptrolle und fördert Janukowitschs "Partei der Regionen" seit langem. Seit 2006 ist er als deren Abgeordneter tätig und gilt landesweit als mächtigster Drahtzieher. Der Tatare, wegen seiner Geschäftsmethoden stets von unschönen Gerüchten verfolgt, dirigiert mit seiner SCM-Holding das größte Firmenimperium der Ukraine.
Viktor Pintschuk, 49, soll neuerdings laut "Forbes"-Ranking mit einem geschätzten Vermögen von 2,6 Milliarden Dollar der reichste Ukrainer sein. Der Schwiegersohn von Ex-Präsident Kutschma besitzt u.a. das Röhrenwerk Interpipe und die Kredit-Dnepr-Bank.
Igor Kolomoysky, 47, kontrolliert als Chairman of the Board ein Industrie-Imperium (Stahl, Öl, Chemie, Energie, Lebensmittel, Medien) rund um die in Dnipropetrovsk ansässige Privat Bank. Der einstige Jutschtschenko-Förderer und spätere Timoschenko-Anhänger ist rechtzeitig ins Janukowitsch-Lager übergelaufen. Der Grund dafür war: Die strenge Julia Timoschenko verärgerte ihn offenbar, indem sie die günstige Übernahme einer Chemiefirma vereitelte.
Sergej Kljujew, 40, besitzt gemeinsam mit seinem Bruder Andrej, 46, den Mischkonzern Ukrpodschipnik, zu dem u.a. eine Stahlfirma und die Active Bank gehören. Die beiden sitzen seit 2006 als Abgeordnete der "Partei der Regionen" im Parlament. In Österreich ist ihre Gruppe mit der Slav AG präsent. Dem hiesigen Publikum sind die Brüder vor allem durch ihr (nicht erfolgreiches) Übernahmeangebot für die Bank Burgenland ein Begriff.